7.11.2019 Wir haben in Umzumbe um einen Tag verlängert. Leider war unser Glashaus bereits wieder vermietet. So zogen wir in die Baumhütte um. Sie ist auch sehr gemütlich, weil die Badewanne direkt im Zimmer steht. Überhaupt scheint in Südafrika eine wahre Badewannenkultur zu herrschen. Wo immer es möglich ist, gibt es einen Pool und eine gemütliche Badewanne. Ich finde das herrlich, denn irgendwie habe ich auch in der Hitze das Bedürfnis nach Entspannung und warmen Wasser – und sei es nur, um die Sandberge vom Meer loszuwerden, oder den Muskelkater nach dem Yoga.
Um Wasser zu sparen – fast in ganz Südafrika herrscht aufgrund des Klimawanddels dramatischer Wassermangel – nutzen wir das Badewasser gemeinsam und waschen anschließend die Wäsche darin. So beruhigen wir unser Gewissen, auch wenn wir wissen, dass jederTropfen Wasser schon zu viel ist. Denn täglich verenden durstige und unterernährte Tiere elendig.
Nach Yoga, dem anschließend Bad und Frühstück fahren wir weiter Richtung Osten. Wir meiden die Autobahn, fahren über halbwegs idyllische Dörfer (Armut ist niemals idylisch) mit den traditionellen Rundhütte. Weiter gehts nach Durban. Wir haben uns dort im Hotel Waterfront und Spa eingemietet, weil es an der Golden Mile liegt, hübsch aussieht und preiswert ist. Begeistert stelle ich fest, dass unser Zimmer direkt zur Hafeneinfahrt schaut. Gleich rutschen wir die Sessel zum Fenster und bewundern das rege Kommen und Gehen Afrikas in größtem Containerhafen.
Doch wir wollen noch auf die „Golden Mile“ und zum Abendessen zurück zu sein. Rund um unser Hotel wurden viele der alten Lagerhäuser durch schmucke Wohnhäuser im Loftstil ersetzt, die durch Kanäle verbunden sind, auf denen venezianische Gondeln mit einem E‑Motoren dahingleiten. Die uShaka Marine World ein großartiger Freizeitparkt mit einem großen Meeresaquarium, etlichen Wasserrutschen und Restaurant, getarnt als U‑boote, gefällt mir ausgezeichnet. Doch wir wollen die berühmte Golden Mile weiter erkunden, denn es dunkelt schon, nicht zuletzt, weil der Himmel wolkenschwer verhangen ist.
Die Goldene Meile entpuppt sich als breite Promenade entlang des Meeres, die Einwohner wie Touristen zum Schlendern, Shoppen und Joggen nutzen. Für Kinder ist ein großer Skaterparcour aufgebaut, Fitnessbegeisterte üben an kostenlose Fitnessgeräte und so manche Gruppen trainieren ohne Gerätschaften. Immer wieder kreuzen Surfer mit ihrem Brett unter dem Arm unseren Weg und am Meer trifft sich die Jugend zum plantschen, Surfen und Volleyballspielen. Sogar ein Schwimmbad findet sich auf der sechs Kilometer langen Prachtstraße entlang des Indischen Ozeans. Rikscha-Läufer in bunten Kleiden bieten ihre Dienste an, die aber selten in Anspruch genommen werden. Auch viele indische Familien nutzen den Nachmittag, um einen Ausflug mit der Familie in ihren schönen Saris zu unternehmen.
Doch sonst wird Reichtum eher versteckt. Die Hotels, die die Goldene Mile säumen, verbergen ihren Luxus hinter verdunkelten Fenstern, Auch die wenigen Restaurants, die sich direkt auf der Goldenen Meile niedergelassen haben, locken die Gäste nach innen. Ich vermute, dass hier in Durban Reichtum zeigen, als Affront verstanden wird.
Wir finden schließlich ein Eiscafe, das zumindest ein paar Tischchen in die Sonne gestellt hat. Tatsächlich sind wir die einzigen, die draußen Platz nehmen. Während wir unseren Kaffee unter der Sonne genießen, beobachten wir, dass Gäste extra aus dem Cafe laufen, um einem ärmlich gekleideten Menschen eine Münzen in die Hand drücken. Er lässt sich nicht lange bitten, auch wenn betteln an sich auf der Golden Mile verboten zu sein scheint. Dafür gibt es Gaukler, Sandkünstler und ein paar Händler, die sich ein Extra-Geld verdienen.
Frisch gestärkt, erkunden wir die Prachtstraße am Sandstrand weiter in Richtung des für die Fußballweltmeisterschaft neu gebauten Moses-Mabhida-Stadions, bis uns die dunklen Wolken zum Umkehren zwingen.
Wir schaffen den Rückweg trockenen Fußes nicht. Ein wahrhaft tropisches Gewitter prasselt auf uns herunter und wir suchen Schutz im ersten Restaurant, das wir finden können. Es stellt sich als Szenelokal heraus – mit Musik, Drinks, leckeren Steaks und vielen jungen, dunkelhäutigen Menschen. Außer uns hat sich noch ein anderes weißes Paar in dieses Restaurant verirrt. Es sieht sich ebenfalls misstrauisch um. Wir bekommen ein Tischchen ganz am Rand. Von dort aus können wir das unschuldige Flirten der farbigen Jugend beobachten, die an kleinen Tischchen zusammensitzt und sich lachend bei Wein und Limo unterhält. Nachdem sie uns kurz neugierig beäugt haben, wenden sie sich wieder ihren Freund* innen zu und lassen uns den leckeren Burger in Ruhe genießen. Schon nach kurzer Zeit fühlen wir uns hier wohl. Die Bar-Musik ist gedämpft, die Cocktailkarte lang. Keiner schenkt dem riesigen Bildschirm, über den die üblichen Sportbilder huschen. Aufmerksamkeit.
Die Jugend hier scheint keine groben Geldsorgen, dafür aber solide Ausbildungn zu haben. Erstmal sehen wir das Leben der farbigen Mittelschicht Südafrikas
Als wir mit dem Essen fertig sind, hat zwar der Regen aufgehört, doch es ist stockfinster. Wir beschließen, nach einem Taxi Ausschau zu halten. Auf der Suche danach wagen wir uns in Nebenstraßen und gelangen in immer dunklere und ärmere Gegenden. Zum Schluss geht es sogar an den verlassenen Häusern des Hafens entlang. Die Menschen, an denen wir vorbeihasten, schauen uns verwundert nach. Doch nichts passiert.
8.11.2019 Am nächsten Tag erkunden wir die Stadt wieder zu Fuß. Wir wollen zur Durban Art Gallery. Doch zunächst schlendern wir am Hafen entlang und versuchen einen Blick auf die riesigen Tanker dort zu werfen. Ob es eine Hafenrundfahrt gibt? Wir finden den Zugang nicht. Doch stattdessen lockt gerade das Natal Maritim Museum mit freiem Eintritt, da einige Exponate wegen Renovierung nicht zu besichtigen sind.
Kurzentschlossen betreten wir den kleinen Platz hinter der Hafenmauer. Es gibt zwei alte Boote zu besichtigen sowie viele kleine Exponate, die sich mit dem Hafenleben auseinandersetzen. Ich lerne, dass Durban eine wichtige Versorgungsrolle im Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Und dass es schwer unter dem Krieg der Supermächte zu leiden hatte.
Wir wandern weiter Richtung City Hall, um zur Durban Art Gallery zu kommen. Die Straßen sind breit, die Jahrhundertwendehäuser hoch. Mich freuen die vielen freundlichen Gesichter, die sich aus den Fenstern beugen. An einer Kreuzung staut es sich plötzlich. Viele Menschen, einige mit den grüngelben Fähnchen der Springboks, stehen an den Ampeln. Was sie da tun, fragen wir sie. „Wir erwarten die Ankunft Weltmeister“, teilen uns die Menschen mit. Immer mehr verlassen die umliegenden Büros und sammeln sich auf der Straße.
Langsam gesellen sich auch die Schulkinder zu uns. Sie singen und tanzen. Ich bekomme plötzlich das Gefühl, dazuzugehören. Das, obwohl weit und breit nur Thomas und ich hellhäutig sind. Die Stimmung steigt: Die Menschen lachen und drängen auf die Straßen. Fahrzeuge bahnen sich hupend und fluchend einen Weg durch die Menge. Doch von den Springboks keine Spur.
Und plötzlich sind sie doch da: zwei offene Doppeldeckerbusse – und vorne Siya Kolisi, der sich mächtig ins Zeug legt, den riesigen Pokal schwingt und seine Kameraden immer wieder dazu auffordert, die Menge zu unterhalten. Seine farbigen Kollegen bemühen sich, seine weißen Kollegen hingegen, hängen im wahrsten Sinne des Wortes, in den Seilen.
Es ist wie ein Rausch: Wir laufen den Bussen hinterher, rufen, winken, filmen und hoffen auf ein persönliches Lächeln von den Weltmeistern. Und unversehens ist alles wieder vorbei. Die Menge zerstreut sich. Wir sortieren uns. Da spricht uns eine kleine, alte, weiße Frau an: „Sie sind Ausländer, oder?“ Sie lächelt nachdenklich. „So wie heute, so ist das wahre Südafrika – weiß und schwarz vereint.“ Ihre Traurigkeit darüber, dass die Realität leider meist anders ist, ist nicht zu übersehen.
Nach diesem Vormittag der Überraschungen besuchen wir jetzt wirklich die städtische Kunstgalerie. Dort ist afrikanische Kunst des 21. Jahrhunderts ausgestellt. Sie setzt sich mit den aktuellen Problemen – Gewalt, Apartheid, AIDS und Migration – auseinander. Ich bin besonders von einem roten Kleid beeindruckt, das an die Vergewaltigungen der Frauen erinnert.
Unser nächstes Ziel heißt Victoria Street Market und wird in vielen Reiseführern als Höhepunkt einer Durbanreise gefeiert. Da uns nur noch wenige Straßen vom Markt trennen, beschließen wir, auch dorthin zu Fuß zu gehen. Doch nach nur wenigen Schritten vom kolonialen Zentrum, finden wir uns inmitten eines riesigen Straßenmarktes wieder. Zigaretten liegen neben Socken, Haarfärbemittel neben bunter Unterwäsche. Flanierende verstopfen die Gehwege und dazwischen grillen Frauen Maiskolben und ältere Männer verkaufen undurchsichtige Flüssigkeiten gegen jedwege Art von Wehwehchen.
Ich habe erstaunlicherweise kaum Angst, obwohl mir das Gedränge, die Billigkeit der Waren und der zunehmende Indienglitzertand höchst unangenehm sind. Ich erstehe trotzdem Socken und neue, schicke Trekkingsandalen. Die alten Schuhe darf ich vor die Türe stellen. „Da kommen sie gleich weg,“ meint der Ladenbesitzer.
Ich freue mich jetzt auf den Victoria Street Markt. Dort soll es tolle Dinge zu gute Preise geben sowie echte indische Küche. Ich habe einen Bärenhunger!
Endlich erspähen wir das hübsche Marktgebäude. Doch innen sieht es nicht viel anders aus als auf der Straße. Die Gänge sind breiter, doch sauberer wirkt es nicht. Einzig ein großer Gewürzstand, der mit deutschen Rezepten aufwartet, erweckt unser Interesse. Wir betreten den Laden und fragen nach einem guten, indischen Restaurant. Ja, ganz in der Nähe sei ein ausgezeichnetes Restaurant, erklärt die Verkäuferin und zerrt uns gleich zu dem schmuddeligen Stand am Eingang des Marktes. Mir wird schlecht, aber ich finde auf die Schnelle keine Ausrede.
Ungerührt von meinem entsetzten Blick bestellt die Verkäuferin schon für uns die “Superspezialität”. Das ältere Paar hinter dem Tresen holt beglückt Undefinierbares aus riesigen Plastikeimern. Ich überlege fieberhaft, wie ich hier verschwinden könnte, doch das indische Paar lächelt verzückt und packt eine Art Curry in ausgehöhltes Weißbrot. Thomas und ich lächeln zurück. Von allen Seiten kommen Marktleute und begutachten kritisch, ob uns das Curry auch wirklich mundet. Mit jedem Bissen, den ich in mich hineinstopfe, lächeln sie noch ein wenig glücklicher. Ich lächle zurück und ganz allmählich graut es mich auch nicht mehr ganz so sehr vor der klebrigen Tischplatte des klapprigen Campingtisches, an dem wir Platz genommen haben.
Nachdem wir unser spätes Mittagessen unbeschadet überstanden haben, kaufen wir noch ausgiebig in dem schönen Curryladen ein und lauschen den kostenlos dazu gelieferten Tipps des indischen Südafrikaners rund um Küche und Familienleben. Emanzipation scheint nicht bin in die indischen Haushalte Durbans gedrungen zu sein. Nach diesen erbaulichen Belehrungen über Küche und Kinder steht mir der Sinn nach durch und durch europäischem Genuss und wir wandern zum Botanischen Garten, dem ältesten Afrikas, in dem Meerkatzen in hohen Bäumen aus aller Welt spielen. Webervögel nisten zwischen Lotusblüten nisten und prächtige Orchideen sind in üppiger Fülle um ein Bachbett drapiert. Wir lauschen den Vögeln, riechen die süßen Düfte der Blumen und bleiben, bis uns die Wärter mit sanftem Druck hinausbegleiten.
9.11.2019 Heute steht das Kwa Muhle Museum auf unserer To-Do-Liste. In dem eleganten Kolonialgebäude wurden einst die Arbeitserlaubnisse ausgestellt – oder auch nicht. Das anschauliche Ausstellungsmaterial versetzt mich in die Zeit, in der alle Nicht-Weißen permanent Ausweispapiere mit sich herumschleppen mussten; in denen sie kein Recht hatten, sich im Stadtgebiet frei zu bewegen und in dem sie unter demütigendsten Bedingungen um die notwendigen Arbeitserlaubnisse betteln mussten. Sklaven auf aller Welt sind besser behandelt worden. Das wird mir in dieser Ausstellung bewusst. Das ganze Apartheidsystem hatte ein Ziel: die Ureinwohner Südafrikas und Namibias davon abzuhalten, sich eine eigene wirtschaftliche Existenz auszubauen. Die Afrikaner sollten nichts anderes sein, als billige und willige Arbeitskräfte auf den Farmen, in den Privathäusern und in den dreckigen Fabriken. Hätten sie sich eine eigene Existenz aufgebaut, wären sie wahrscheinlich nicht gewillt gewesen, für die weiße Oberschicht arbeiten zu wollen.
Wir bleiben lange in dem kleinen Museum, das auch Kunstwerke zeigt und anhand von Zeitungsausschnitten die Einstellung des ANC zur Gewalt. Auch wenn in den 80er Jahren die Gewalt gegen Symbole des Staates akzeptiert war, so wurde die Gewalt gegen Menschen nicht toleriert. Die Politik des ANC scheint von Anfang an auf eine friedliche Coexistenz zwischen den verschiedenen Ethnien Südafrikas ausgerichtet gewesen zu sein.
Gleich neben dem Kwa Muhle Museum liegt, versteckt in einem Park, das MOTH Museum, das Veteranen des Ersten Weltkriegs ins Leben gerufen haben und das auf beeindruckende Weise die Verwicklung Südafrikas in all die vielen, weltpolitischen Scharmützel dokumentiert. Mir wird wieder bewusst, dass meine Generation in Europa auf einer Insel der Seligen gelegt hat und Kriege scheinbar nur in den Nachrichten stattfanden.
Nach all den Schrecknissen suchen wir Erholung im Hotel. Den Abend verbringen wir in einem Burgerladen, der in den Backsteinräumen einer alten Lagerhalle untergebracht ist. Hier trifft sich die weiße Bevölkerung Durbans. Kein einziges schwarzes Paar sitzt an den langen Holztischen und genießt die Burger, die auf die Teller getürmt sind.
10.11.2019 Am nächsten Tag meiden wir die mautpflichtige N2 und fahren über Nebenstraßen Hluhluwe. Immer wieder stoßen wir auf Denkmäler und Gedenkstätten an Albert Luthuli, Afrikas ersten Friedensnobelpreisträger und Stammeshäuptling der Zulu. Leider nehmen wir uns nicht die Zeit, um eine Gedenkstätte zu besichtigen.
Trotzdem landen wir erst zum Sonnenuntergang auf der Ecobee-Lodge, die von Niederländern geführt wird. Der Himmel war schon lange wolkenverhangen. Durch diese Düsternis erscheint mir hier zunächst alles viel zu öko. Die kleinen Rundhütten, die die Gästezimmer sind, ducken sich unter Palmen und Bananenstauden. Alles scheint verlassen, keine Gäste sind da, bis auf eine junge, afrikanische Frau, die uns einweist und in die Bar am Pool locken möchte.
Doch wir haben Hunger und ich bin ein bisschen müde. Dadurch ist mir diese Unterkunft unheimlich. Sie ist weit abgelegen, Thomas erzählte, dass sie direkt am Naturschutzgebiet liegt. Thomas hatte die Unterkunft ausgesucht, weil wir von dort aus reitend das Naturschutzgebiet erkunden können. Wie das wohl sein wird, wenn ein Krokodil die Pferde angreift, überlege ich? Ich bin neugierig auf diesen Dschungel rundherum und hoffe, ihn sicher vom Pferd aus erkunden zu dürfen.
Da wir tatsächlich die einzigen Gäste sind, gesellt sich die junge Frau zu uns in die Gäste-Küche, die offen im Gelände steht. Trotz der elektrischen Lampen, die uns bei der Orientierung helfen, lassen sich nur wenige Insekten dazu herab, die neue Beute von Nahem zu begutachten. Langsam gewinne ich Vertrauen zu diesem dunklen Wald um uns herum. Daher nehmen wir die Warnungen vor den Affen nicht allzu ernst und räumen zwar sauber auf – aber sichern den Mülleimer nicht extra mit einem großen Stein. Ein Fehler, wie sich später herausstellen wird.
Während wir kochen, gesellt sich die junge Frau zu uns und erzählt uns von der Armut ihrer Familie, von der Ausbeutung durch ihre niederländischen Bosse und den Herausforderungen ihres Studiums. Als sie davon schwärmt, dass sie erst einmal im nahe gelegenen Hluhluwe Nationalpark war, lade ich sie spontan ein, morgen mit uns zu kommen. Wir beschließen einen Aufbruch bei Sonnenaufgang, da sie am Nachmittag arbeiten muss.
11.11.19 In der Nacht öffnen sich die Schleusen des Himmels. Ein Wolkenbruch prasselt auf unser Reetdach. Ich fürchte mich. Ich fürchte, dass der Regen seinen Weg durchs Dach findet. Ich fürchte mich vor den Straßen morgen. Die meisten Straßen hier sind nämlich nicht weiter als festgefahrene Lehmstraßen. Ob die wohl halten? Und wie ist deren Qualität im Park? Werden wir im Schlamm stecken bleiben? Was ist, wenn wir im Park mit all den Löwen, Leoparden, Wasserbüffeln und Elefanten stecken bleiben? Wer holt uns da raus? Wird das Handy funktionieren? Ich verfluche meine spontane Einladung. Wir hätten so gemütlich im Bett ausharren können, bis der Regen nachgelassen hätte und wir uns ohne Gefahren auf die Straße hätten wagen können. Aber nein. Wir haben Sonnenaufgang als Uhrzeit ausgemacht. Thomas klemmt sich also hinter das Steuer und fährt zum Gate, wo wir unseren Treffpunkt ausgemacht haben. Da steht unsere junge Dame und verkündet mit nur leichtem Bedauern, sie sei über Nacht krank geworden und könne nun doch nicht mitkommen.
Ich glaube ihr nicht. Afrikaner sind geborene Lügner. Diese Überzeugung taucht tief aus meinem Unbewussten auf. Ich kenne zwar keinen Beweis – und auch ich habe einen flauen Magen – trotzdem ich stelle plötzlich alles infrage, das uns die junge Frau erzählt hat.
Zudem bin ich auch besonders ärgerlich, weil wir nur ihretwegen einen so frühen Zeitpunkt für unseren Ausflug festgelegt hatten. Doch da wir nun mal aufgestanden sind und der Regen aufgehört hat, fahren wir zum Nationalpark. Dort angekommen, freuen wir uns, dass die junge Dame nicht mitgekommen ist, denn der Eintritt ist teuer und wird für jede Person einzeln berechnet.
Ich weiß nicht warum, aber irgendwie gefällt mir dieser Park, der als eines der ältesten Naturschutzgebiete Südafrikas gilt, sehr gut. Trotz seiner beeindruckenden Größe von 960 Quadratkilometer wirkt er heimelig und intim. Immer neue, grüne Täler öffnen sich und geben den Blick auf Herden von Wasserbüffeln, Elefanten und Nyalas frei. Ein Löwenpärchen bewacht seine Beute. Ich bin froh, dass die junge Frau in der Lodge geblieben ist, denn hier gibt es so viel zu entdecken: den endlosen, wolkenverhangenen Himmel, die schönen Lodges und natürlich all die Tiere. Hier sind alle fünf der Big Five vertreten, sowie Windhunde, Reptilien und jede Menge Vögel.
Glücklich, aber erschöpft kaufen wir am Abend im Ort Hluhluwe (Schluschluwe ausgesprochen) ein, obwohl ich aufgrund des unübersichtlichen Gewusels und des gänzlichen Fehlens hellhäutiger Menschen große Bedenken habe. Doch wir bekommen am Marktstand wunderbar preiswerte reife Orangen und Avocados. Das Abendessen wird ein Festmahl.
Die junge Empfangsdame leistet uns wieder Gesellschaft. Obwohl sie nur Tee trinkt, während wir unser Abendessen genießen, lege ich jedes ihrer Worte misstrauisch auf die Goldwaage, um den Wahrheitgehalt zu prüfen. Was genau studiere sie? Wie genau vereinbare sie das mit ihrer Arbeit? Was genau müsse sie denn arbeiten …
Ich beobachte mich dabei, wie schnell ich Negatives auf Dunkelhäutigen übertrage und wie langsam Positives. Warum? Wie sind all diese negativen Gedanken über dunkelhäutige Menschen in meinen Kopf gelangt? Ich dachte, ich sei sehr weltoffen erzogen? Endet die Weltoffenheit bei der Hautfarbe? In Deutschland hätte ich mich selbst eher als fortschrittlich eingeschätzt. Dennoch bin ich offensichtlich im Grunde meines Herzens ebenfalls von der angeborenen Bösartigkeit und Gefährlichkeit dunkelhäutiger Menschen überzeugt. All die positiven Erfahrungen, die wir hier mit Zulus, Khosas, Buschleuten und, und, und machen durften, ändern offensichtlich an der Grundüberzeugung wenig. Ich hätte nie gedacht, dass Rassismus so tief in mir in uns Europäern verwurzelt ist.
Täglich werden wir von freundlichen Menschen mit dunkler Hautfarbe freundlich, manchmal auch untertänig begrüßt. Die Menschen lächeln uns an und sind bei jeder Gelegenheit bereit zu helfen, wenn wir zu Fuß durch die Straßen gehen, was weiße Südafrikaner für viel zu gefährlich halten würden. Dadurch können sie diese positiven Erfahrungen gar nicht erst machen.
12.11.2019 Auch am nächsten Tag hat es zu viel geregnet, um mit den Pferden auszureiten. Dafür strollen sie frei auf dem Geländer herum und plündern unseren Mülleimer, bis wir seinen Deckel mit schweren Steinen sichern. Wir erkunden zu Fuß das riesige Gelände der Lodge und entdecken dabei eines der nachtaktiven, großäugigen Bushbabys.
Später fahren wir nach St. Lucia, einem kleinen Badeort an der Küste des Indischen Ozeans, das für seine lange Lagune bekannt ist, in der sich Nilpferde und Krokodile tummeln. Wir haben Glück und ergattern eine Bootsfahrt, obwohl es sehr windig ist, was das Manövrieren der Boote sehr erschwert.
Die Gruppe wird aufgeteilt und wir landen bei dem einzigen Schwarzen, der eine Tour anbietet. Es ist nur eine kleine Gruppe, die sich „freiwillig“ zu ihm gesellt und auch ich fürchte kein Wort seines Kauderwelsch zu verstehen. Wie sehr ich mich täusche, wird sich gleich zeigen. Unser Guide ist ein junger Biologiestudent, unglaublich begeistert, uns alles zeigen und vermitteln zukönnen und ein begnadeter Kapitän. Stolz erklärt er, warum sonst nur Weiße als Guides arbeiten: „Ich bin der einzige Farbige hier, der eine Kapitänslizenz besitzt.“ Tatsächlich manövriert er uns geschickt bis tief in die Mangroven, nur damit wir die Krokodilbabys in den Ästen bewundern können. Keiner der anderen Bootslenker wagt sich so nah ans Ufer wie unser Guide. Er lässt sich auch ganz nah zu den Nilpferdfamilien treiben, die im trüben Wasser auftauchen und ebenso schnell wieder verschwinden. Wir sehen auch die Krokodile, die sich entspannt am Flussufer sonnen, nur um sich dann blitzschnell auf ihr Opfer zu stürzen. Sein Englisch ist ausgezeichnet – ich verstehe jedes Wort und bin heilfroh, dass wir ausgerechnet bei ihm gelandet sind.
Nach der Bootstour blieb uns nur noch eine knappe Stunde, um den Ort zu erkunden, in dem am frühen Abend eine Hippofamilie auf der Suche nach saftigem Gras durch die Straßen wandert. Es ist ein Ort, ganz nach amerikanischen Geschmack, mit einem breiten Boulevard, an dem sich rechts und links gehobene Souvenirshops, Cafes, Bars und Restaurants reihen. Auch wir genießen die „Zivilisation“, bewundern die künstlerisch hochwertigen Holzkrippen und freuen uns über einen wunderbaren Capuccino, der uns, zusammen mit einem Schokotörtchen auf einer Terrasse serviert wird.
Doch wie immer, die Tage sind hier viel zu kurz. Die Dunkelheit naht – und wir scheuen den Wildwechsel und die tiefen Schlaglöcher der unbeleuchteten Straßen. So machen wir es wie alle anderen und fahren an den riesigen Eukalyptusbaumplatagen zurück, um vor der Dunkelheit in unserer Lodge einzuchecken. Die Nilis müssen ihrem Abendspaziergang ohne unsere Bewunderung durchführen.
13.11.19 Leider ist es auch heute noch viel zu nass, sodass wir wieder nicht ausreiten dürfen. Unsere Freunde aus Südafrika feiern den Regen und posten eifrig die Millimeterhöhen der Wasserstände. Doch meine Begeisterung hält sich nach drei Tagen Tropenregen in Grenzen. So brechen wir auf nach Pietermaritzburg. In circa einer Woche werden wir unsere Freunde in Johannesburg am Flughafen treffen und bis dahin wollen wir noch viel vom Land erkunden. Pietermartizburg liegt nicht nur romantisch zwischen tausend Hügeln und ist international für seine Mountainbike- und Marathonwettbewerbe bekannt, es ist auch ein historisch interessantes Städtchen, das einst von den Vortrekkern gegründet wurde und dann von den Engländern für das Britische Reich erobert wurde.
Doch bevor wir Richtung Norden und Landesinnere fahren, wollen wir uns vom Indischen Ozean verabschieden. Wir planen einen Abstecher zum Umlalazi Ezemvelo KZN Wildlife, einem kleinen Nationalpark am Meer und landen dank Google Maps mitten im Sumpf. Gott sei Dank hat Thomas ein Einsehen und stößt zurück, statt das Wasserloch vor uns zu durchqueren. Später sollte sich herausstellen, dass der Weg in einem Steig geendet wäre. Das Naturschutzgebiet ist wunderbar angelegt: Wir sehen Meerkatzen, tausende von kräftig, roten Krebsen und Gott sei Dank keine Krokodile entlang der Lagune. Dann gehen wir noch an den Strand und lassen uns von den mächtigen Wellen treiben. Junge, farbige Familien genießen trotz des starken Windes und der hohen Wellen den riesigen, langen, weißen Sandstrand. Hungrig geworden, genießen wir ein Abschiedsmahl mit Fat Cat im nahe gelegenen Mtunzini. Es ist ein sehr freundlicher Ort, der nicht nur wegen des wunderschön angelegten Golfplatzes Ruhe und Wohlstand ausstrahlt. Ich liebe diesen Ort, an dem auch viele Weiße wohnen auch für seine Gaststätten, Kneipen und Cafes. In vorwiegend schwarzen Gegenden gibt es leider so kulinarische Infrastruktur so gut wie nirgends.
Da wir uns mal wieder viel zu lange an einem Platz aufgehalten haben, streichen wir alle anderen Pläne und nehmen die N3 direkt nach Pietermaritzburg. Dort erwartet uns ein sehr sauberes, großzügiges und bequem eingerichtetes Airbnb. Wir duschen uns ausgiebig und inszenieren ein wunderbares Picknick vor dem Fernseher. Währenddessen wäscht uns unser farbiger Landlord die Wäsche einer großen, sehr professionellen Waschmaschine. Auch hier, viele Kilometer von Hluhluwe entfernt, schüttet es in der Nacht. Wir freuen uns am Farbspiel der Wolkenbrüche und noch mehr daran, dass wir in dem Haus sicher und trocken bleiben werden.
14. 11.19 Zu Mittag haben die Regengüsse nachgelassen. Wir gehen zu einem, von Tripadvisor empfohlenen Inder zum Mittagessen und bewundern dessen Kolonialarchitektur, die auch im Innerenkaum verändert wurde. Das Essen ist so gut, wie im Internet beschrieben und der Besitzer ist sehr freundlich und bereit, alle unsere Fragen zu beantworten. Rundum zufrieden besuchen wir anschließend die Tatham Art Galerie, eine der führenden Kunstförderstätten Südafrikas. Untergebracht in einem 1864 erbauten Gerichtsgebäude, lockt die Galerie mit wirklich individuellen Sammlungen. Tief beeindruckt haben uns zwei Gemälde, die versteckt im Treppenhaus hängen. Das eine zeigt die Queen in formeller Haltung und vollem Ornat auf ihrem Thron, das andere zeigt den amtierenden Zulukönig in traditioneller Kleidung auf einem Schemel vor seiner Hütte sitzend. Auch dieses Bild auf Repräsentation und Machtanspruch gemalt, wie das Bild der Queen. Uns fällt auf, wie eurozentristisch unser Weltbild ist: Ein Zulukönig, der nur in einer Rundhütte lebt …
Dabei hat Nelson Mandela in seinem Buch, der “Lange Weg zur Freiheit”, sehr eindrucksvoll beschrieben, welch hohen Wert die Königsfamilien bei den Khosas und den Zulus haben und wie sorgfältig die jungen Führer auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet werden. Dennoch …
Auch das Cafe in der Tatham Galery ist liebevoll eingerichtet. Der Chef dort zeigt uns stolz, dass Südafrika sehr wohl gute Musiker hervorgebracht hat. Am Abend genießen wir wieder den Luxus einer Stadt: Elektrizität, Waschmaschine und Fernseher.
15.11.19 Weiter geht’s weiter – zunächst nur wenige Kilometer Richtung Johannesburg zu dem Ort, an dem Nelson Mandela am 5. August 1962 nach einem Treffen in Pietermartizburg gefangen genommen worden war. Das Museum, die Nelson Mandela Capturesite befindet sich noch im Aufbau. Doch die Außenanlagen sind schon fertig. Der Ort liegt landschaftlich wunderschön im Grünen. Alles sieht hier friedlich – und mit seinem saftigen Grün, den gewundenen Straßen und den sanften Hügeln – sehr heimatlich aus.
Vom Museum aus erstreckt sich ein kurzer Nelson-Mandela-Gedächtnisweg in Richtung Südliche Drakensberge. Er endet in seltsamen Stelen. Wir gehen zwischen den Stelen durch und wundern uns: Was will der Künstler uns mit diesen schwarzen Dingern sagen? Wir sind verwirrt und gleichzeitig auch glücklich darüber, dass sich auch andere Besucher fragend umblickden. Irgendwie hat der Ort, an dem Nelson Mandelas 27-jährige Gefängnistortur begann, etwas mystisches. Doch, was genau will der Künstler ausdrücken? Kopfschüttelnd kehren wir um. Und da passiert es: Beim Blick zurück setzen sich die einzelnen Stelen zu einem dreidimensionalen Porträt Nelson Mandelas zusammen. Alles also eine Frage der Perspektive.
Während wir über das Werk diskutieren, kommen wir an dem architektonisch sehr interessanten Museumsbau vorbei. Ein junger Mann fragt Thomas, ob wir vielleicht eine Führung wollten?
Wir sind sprachlos – zumal wir nicht die Einzigen sind, die sich auf dem Gelände umschauen. Aber vielleicht diejenigen, die die weiteste Anreise hatten? Wie auch immer, wir freuen uns und bekommen jeweils eine persönliche Führung von sehr netten und sehr aufgeregten jungen Afrikanerinnen. Die stammen aus der Umgebung – und freuen sich, dass sie auf diese Weise einen Arbeitsplatz gefunden haben. Für die Frauen der Umgebung – wir sind an der Grenze zwischen dem schwarz dominierten Natal zum weiß dominierten Free State – ist das Museum ein Segen. Viele Künstler*innen steuerten Exponate bei. Für uns besonders beeindruckend sind die riesigen Wandgemälde, die aus winzigen Glasperlen gewebt sind.
Nach den Führungen besuchen wir die Kunsthandwerkerläden des Geländes, die mit ihren Verkäufen soziale Projekte finanzieren. Dort finden wir auch eine Landkarte der Midlands, die uns mit der Aussicht auf Bauernmärkte, lokales Kunsthandwerk und dem Bierfassl, einer authentisch eingerichteten österreichischen Boatzen, von der N3 auf die Nebenstraßen lockt. Thomas freut sich schon auf das Schnitzel! Doch auch die Fahrt dorthin ist ein wirklicher Genuss, auch wenn ich nicht so viel von den Südlichen Drakensberge zu sehen bekomme, wie ich gehofft hatte.
Wir fahren über menschenleere Landstraßen weiter nach Clarence, einem kleinen Ort im Free State, der nach dem Ort des freiwilligen Exils von Paul Kruger, des ehemaligen Präsidenten von Südafrika und Gründer des häufig falsch als „Krüger“ bezeichneten Kruger Nationalparks, benannt ist. Dort übernachten wir im Granaat.
16.11.19 Clarence ist ein kleines Juwel. Nicht nur unsere Unterkunft, die aussieht als sei sie eine edel umgebaute Scheune mit offenen Backsteinwänden und einer hohen Wellblechdecke, strahlt Ruhe und Behaglichkeit aus, auch die breiten, Baum gesäumten Straßen, die an behaglichen, komfortablen Häusern vorbeiführen, erzählen von einem ruhigen und wohlhabenden Leben der Bewohner. Unsere Airbnb-Gastgeberin hatte uns den örtlichen Parkrun sher ans Herz gelegt, denn die Laufstrecke würde an vielen Schönheiten des Ortes vorbeiführen. Zudem würde quasi jedermann teilnehmen. Es sei also ein gesellschaftlicher Akt. Wir begeben uns also um kurz vor 9:00 zum Startplatz und freuen uns an der netten, aufgeregten Stimmung und die vielen jungen Farbigen, die ebenfalls ihre früheren Laufzeiten unterbieten wollen. Die Laufstrecke führt zunächst an einem Bach entlang, dann an einem See, in dem eine farbige Familie badet und dann höher in die Berge, sodass wir die Bergkette, die Clarens in einem Halbkreis umgibt, in Ruhe bewundern können. Zurück geht es wieder an schönen, kleinen und gemütlichen Häusern vorbei. Angekommen, werden wir herzlich mit Getränken und Infomaterial begrüßt und darüber aufgeklärt, dass es solche Parkruns überall auf der Welt gibt. Wer sich registriert, kann auch überall auf der Welt seine Zeit nehmen lassen.
Den Rest des Tages verbringen wir in unserem wunderschönen Airbnb, von dem aus wir bis zu den Bergen des Golden Gate Highlandspark blicken können, und in der Erkundung vom typisch Afrikaans geprägten Clarens. Es ist ein Künstlernest. Antiquitätenläden wechseln sich mit Galerien und Boutiquen ab, in denen entspannte Designerkleidung verkauft werden. Auf den Straßen verkaufen farbige Händler Obst Perlenarbeiten und kleine Törtchen. „We ave a very good neighourship“, hatte unsere Vermieterin erzählt. Und tatsächlich warnt sie uns nicht davor, im Ort zu Fuß zu gehen, oder alleine in die Berge. Das ist sehr entspannend. Sie arbeitet im Artist‘s Cafe. So lassen wir es uns nach einem ausgedehnten Einkaufsbummel dort im Schatten der Bäume gut schmecken.
17.11.2019 Wir besuchen die Dutch Reformed Church in der Main Street, die ihren Gottesdienst auf Afrikaans hält. Nur ein Farbiger, der aus einer anderen Gemeinde stammt, und ein sogenanntes „colored“ Kind begleitet, nimmt am Gottesdienst teil. Die Kirche ist voll besetzt, die Menschen nehmen mit Begeisterung am Geschehen teil Wir verstehen nur Bruchstücke. Doch anfangs werden die positiven Neuigkeiten aus der Gemeinde berichtet. So hat wohl ein Gemeindeglied im Rollstuhl einen Guiness Weltrekord aufgestellt. Es wird viel gesungen und sich viel bedankt. Vor allem bedanken sich die Kirchgänger für die Leistung der Vortrekker, die ihnen Südafrika geschenkt? Oder für sie erobert haben? Befreit haben? Sie bedanken sich, dass sie keine Buddhisten sind, die immer wiedergeboren werden und auch keine Anhänger des Islam und sie bedanken sich, dass ihr Land Südafrika ist. Ich bin schockiert über diese Gehirnwäsche. Thomas ist befremdet, dass sie kein Vater Unser beten.
Selbstverständlich werden wir noch zum Kirchen-Café eingeladen und werden mit leckeren Kuchen und Tee verwöhnt. Unser Versuch, ein Gespräch auf Englisch über den Gottesdienst zu führen, wird mit freundlichem, entschuldigendem Lächeln abgewürgt. Wie wir wissen, gibt es viele Africaans sprechende Menschen, die höchst ungern oder kaum Englisch sprechen. Wie wir später erfahren werden, sind wir nämlich genau am Hotspot der einstigen blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Vortrekkern und der Englischen Krone.
Nach unserem Kirchgang fahren wir eine gute halbe Stunde am Staat Lesotho entlang, bis nach Bethlehem. So erhebend die Fahrt nach Bethlehem ist, so ernüchternd ist das halb heruntergekommene, ärmliche und menschenleere Bethlehem. Hier können wir sehen, dass Clarens wirklich „anders“ ist, dass Clarens zu recht als Künstlerdorf tituliert wird. Auch Bethlehem besitzt eine schönes, koloniales Zentrum. Doch hier regiert die Nützlichkeit. Die Geschäfte sind dunkel und bieten nur Notwendigkeiten, wie Alkohol und das Postoffice. Draußen blättern die Fassaden und der Dreck sammelt sich an den hohen Bordsteinkanten. Blumen, Tand oder andere Dekoration, die in Clarence fast jedes Haus zieren, gibt es hier nicht. Alles wirkt ärmlich und trist.
Auf dem Rückweg fahren wir quasi an Lesotho vorbei, um möglichst viel von diesem sagenumwobenen Land, das uns wg seines Wasserreichtums, der Schigebiete und des sehr traditionellen Lebens in Rundhütten lockt. Doch wir hatten uns versprochen, dass wir uns in den drei Monaten unserer Reise auf Namibia und Südafrika beschränken. So fahren wir im Schritttempo durch die offene, von Tafelbergen gesäumte Landschaft und versuchen so viel wie möglich vom Leben jenseits der Grenze zu beobachten.
Wir fahren nach Surrender Hill. Erkennen lässt sich nicht viel, außer einer Art Parkplatz. Doch in meinem Buch lese ich, wie grausam die zwei Burenkriege geführt wurden. In diesen Kriegen wurden das erste Mal Konzentrationslager und Sippenhaft eingeführt. Und obwohl die Engländer das Wohlverhalten der Afrikaaner mittels eines starken politischen Einflusses der Afrikaaner auf die Politik von der südafrikanischen Union zu erkaufen versuchten, sind hier im Freistaat die Resentiments zum Greifen nah. Das Abendessen nehmen wir gemütlich im Garten von Addo´s Fine Dining. Addo ist der einzige Farbige unter Clarens Restaurantbetreibern und hat die beste Bewertung auf Tripadvisor.
18.11.2020 Trotz bedrohlich bedeckten Himmels verbringen wir unseren Tag im nahe gelegenen Golden-Gate-Highlands-Nationalpark mit seinen San-Zeichnungen, seinen wunderbaren Sandsteinformationen und seiner Geierbeobachtungsstation. Die Wanderungen sind anspruchsvoll, abwechslungsreich und bieten großartige Aussichten. Leider können wir nur die kurzen Touren ausprobieren, denn die große Tour über die Gipfel führt über grüne Wiesen und durch wegloses Gelände. Bei den Wolkenbrüchen, die hin und wieder auf uns niederprasseln, ist uns ein solcher Ausflug zu heikel, denn die Abbrüche sind abrupt und steil.
19.11.2020 Bedauernd und nach einem ausgiebigen Frühstück auf der sonnigen Terrasse mit Blick auf die Berge, fahren weiter nach Johannesburg. Dort hat Thomas in der Innenstadt ein Zimmer in der Hostelkette „Once“ gebucht. Wir fahren über endlose Weideflächen und stellen fest, dass das Gras auch im Herzen des Freistaates, des „gelobten“ Afrikander-Landes, fast bis auf die Grasnarbe heruntergefressen ist. Kein Baum, kein Strauch, soweit man sehen kann. Nur abgeweidete Grünflächen. Hier erkenne ich endlich, was ich so oft gelesen hatte: wenn man Urwald abholzt, um auf der dünnen Krume Ackerbau zu betreiben, erntet man nichts als Erosion. Ich habe Mitleid mit den Großgrundbesitzern, die ihr Vieh zu billigsten Konditionen – häufig auch in die EU – verkaufen (müssen).
In Johannesburg angekommen, bin ich einerseits von der Schönheit der Stadt beeindruckt, andererseits fühle ich mich inmitten der Hochhäuser, der vielspurigen Straßen und Brücken sowie des Lebens auf der Straße, an New York erinnert. Wir fahren bin ins Zentrum, dahin, wo sich die weißen Südafrikaner nur in dicken Wägen oder mit einem Führer hineinwagen. Wenige Blöcke von der Witwatersrand-Universität (Wits) entfernt, ist unser heutiges Ziel, das Once in Joburg. Wir beziehen ein kleines, aber modern und sauber eingerichtetes Hotelzimmer mit Balkon zum Innenhof, in dem sich Bars an Restaurants drängen. Im Once gibt es ein ganzes Stockwerk, nur für soziale Kontakte – ein Großraumbüro mit vielen Computerarbeitsplätzen sowie eine riesige Küche mit Sofas, einem Pooltisch und ein langer Balkon mit Tischen und Stühlen. Dort findet heute ein Kennenlernabend mit Freibier und Spielen statt. Ich verziehe mich bald und genieße die Ruhe des Zimmers. Thomas genießt das Zusammensein mit vielen aufgeschlossenen jungen Menschen aus der ganzen Welt.
20.11.2019 Das Once beschäftigt viele junge Menschen der Umgebung, um die Gäste untereinander zu vernetzen und in ihren Zielen bestmöglich zu unterstützen. Für den Nachmittag buchen sie für uns eine geführte Radltour durch Soweto und für den Vormittag finden sie drei junge Französinnen, die mit uns und unserem Auto das Apartheid Museum besuchen, um später von dort aus direkt in die süd-westlichen Townships (So-We-To) zu fahren. Die drei Französinnen stellen sich als Krankenschwestern aus Paris und Lyon heraus, die auf Mayotte, einer französischen Insel vor Madagaskar, arbeiten. „Da ist es schön warm, die Leute sind nett und wir verdienen viel mehr als auf dem Festland.“ Sie lachen, als sie unsere verblüfften Gesichter sehen. Das sind andere Überreste des Kolonialismus.
Das Apartheidmuseum stellt sich als wahrer Moloch heraus. Die Informationsfülle, der Versuch, die Apartheid in ihrer Gesamtheit zu erfassen und dabei die Objektivität nicht außen vor zu lassen, trotz der verstörenden Fotografien und der anderen Zeitzeugenaussagen, lässt mich dieses Museum zu den wichtigsten Museen der Welt zählen. Hier könnte ich mindestens ein Jahr verbringen und würde noch so vieles Neues lernen. Bei meinem ersten Besuch schreibt sich mir der gewitzte Charme Albert Luthulis, eines Zuluhäuptlings ins Herz. Obwohl ich schon einiges über ihn gelesen hatte, überzeugte mich das Fernsehinterview, das er 1960 anlässlich seines Friedensnobelpreises gehalten hat von seiner Mission. Der gläubige Lehrer und Leiter des African National Congress war der erste Afrikaner, der diesen Preis erhalten hat.
Bedrückt und verstört hat mich vor allem auch die Rolle der weißen Religionsführer und der Gläubigen bei der Entwicklung und Vergrausamung der Apartheid. Es waren die tiefgläubigen Afrikander, die das theoretische Fundament für die Rassentrennung in all ihren hässlichen Ausformungen legten. Ein Bild der Ausstellung geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Ein Landarbeiter liegt auf einer Wiese, ein Buch auf dem Kopf. Der Titel dazu: Als die Weißen ankamen hatten sie die Bibel und wir das Land. Jetzt haben wir die Bibel …
Die Zeit drängt, unsere Fahrradtour durch Soweto, der Ausflug, auf den ich mich schon seit München gefreut habe, beginnt im Lebo‘s Beackpackers mit einem grandiosen Mittagsbuffet mit afrikanischen Spezialitäten. Bei den Hühnerfüßen steigen die Europäer*innen aus. Ich koste sie – und finde sie vor allem fettig. Die anderen Eintöpfe schmecken tatsächlich viel besser. Doch leider bleibt mir nicht die Zeit, um alles in Ruhe durchzuprobieren. Wir werden schon zur Helmanprobe und zur Fahrradverteilung gerufen. Ich lerne: Hier in den Townships geht es darum, möglichst vielen Nachbarn, Freunden, Bekannten eine Arbeit zu besorgen. Die einen verdienen ihr Geld mit dem Essen, die anderen mit der Organisation und die nächsten mit den Führungen.
Unser Führer ist ganz besonders stolz auf seine Arbeit: “Ich bin der erste in meiner Familie, der im Tourismus untergekommen ist”, freut er sich. Unsere kleine Gruppe aus Deutschen, Franzosen und Belgiern ist heute sein großes Glück. Jeder, dem er begegnet, muss uns grüßen und, wenn möglich, auf Englisch ein paar Worte wechseln. Wenn wir durch die lehmigen Straßen der Armengegenden Sowetos fahren, laufen uns die Kinder mit großem Gejohle hinterher und unser Guide feuert sie an. Er freut sich, dass weiße Menschen sich für das Leben in Soweto interessieren.
Jugendliche, die glotzend am Straßenrad stehen, ermuntert er mit uns zu sprechen und gefühlte Stunden steht er an einer Müllhalde, um uns die Dimensionen der süd-östlichen Townships, die Soweto ihren Namen gegeben haben, zu erklären. Es spricht von Hunger, Armut, engsten Wohnverhältnissen, doch als wäre das völlig normal. Mitleid oder gar Spenden sucht er nicht. Seine Geschichten durchsetzt er mit Anekdoten über seine Großmutter, und verdeutlicht auf diese Weise, was sich hinter dem Begriff Ubuntu und Black Tax verbirgt. Er berichtet von Sowetos bekanntesten Bewohnern, neben Nelson Mandela auch musikalische Größen wie Lebo M, der den Song „The Lion sleeps tonight“ aus König der Löwen komponiert – und anfangs auch gesungen hat.
Nur wenige Radlminuten vom bedrückenden Armutszentrum entfernt, kommen wir nach Orlando. Die Straßen verbreitern sich, sind geteert und werden von schlichten, einstöckigen Häusern gesäumt. In einem von ihnen lebten Nelson Mandela und seine Frau Winnie. Gegenüber betrieb sie ein kleines Restaurant. Schräg gegenüber lebte ein anderer schwarzer Friedensnobelpreisträger – Erzbischof Tutu.
Plötzlich sind wir in einer ganz anderen Kontinent. Die Hauptstraße ist bunt. Überall Souvenirs, Flaggen, Menschen in Stammeskleidung und Touristenbusse. Die Häuser der beiden Nobelpreisträger gelten als das touristische Highlight Johannesburgs. Nicht ganz so beliebt ist das nahe gelegene Hector-Pieterson-Museum, das sich den Schüler- und Studentenunruhen, die sich 1976 von Soweto aus über ganz Südafrika ausbreiteten, widmet.
Unser Führer erklärt, dass Hector-Pieterson, das erste Todesopfer dieser Unruhen, eigentlich Hector Pitso hieß und dass alle afrikanischen Kinder von ihren weißen Lehrern neue Namen erhielten, weil die Weißen die Bantu-Namen nicht aussprechen konnten oder wollten. So hieß Nelson Mandela unsprünglich Rolihlahla, der Unruhestifter.
Mit einem Bier in einer echten Sowetokneipe (alles, das gestohlen werden könnte, ist vergittert), einem Wolkenbruch und einem heißen Tee in dem Soweto Hostel endet die Tour, die als Mutter aller Townshiptours gilt. Ach, hätten wir doch früher eine solche Townshiptour gebucht! Ich hätte noch so viele Fragen.
21.11.2019 Heute schlendern wir durch das Stadtviertel Braamfontein, das sich als lebendig, künstlerisch und avantgardistisch feiert. Wir wollen zum Wits Art Museum, in dem eine Ausstellung von David Koloane zu sehen ist. Ein junger Guide aus dem Once begleitet uns. Er begleitet uns weniger, um uns den Weg zu zeigen, sondern weil er auf das Trinkgeld angewiesen ist und er dadurch die Gelegenheit hat, uns von seinen Ideen zu überzeugen. Junge Farbige haben für sich das Unternehmertum entdeckt, hatte uns unser Führer aus Soweto erklärt. Bevor die jungen Leute in den Townships ihr Leben lang vergeblich auf eine Arbeit warten, die ihren Stolz nicht verletzt, suchen sie sich Arbeit im Tourismus, als Künstler oder Blogger. Unser junger Führer ist Fotograf. Er reist durch Südafrika, immer auf der Suche nach den traumhaftesten Sonnenuntergängen.
In der Koloane-Ausstellung beeindrucken mich die intensiven Werke des dunkelhäutigen Malers, der die ersten Kunstschulen in den Townships gründete und damit eine ganz neue, sehr lebendige und ökologische Kunstrichtung initiiert hat,. Mehr noch aber begeistern mich seine philosophischen Gedanken, die von Lebensweisheit und Empathie zeugen.
Gleich neben der Ausstellung ist das Café der Witwatersrand University, neben der Stellenbosch University eine der besten und teuersten Universitäten des Landes. Das Café ist luxuriös, die Speisen vom Buffet sind das Beste, das ich in Südafrika zu Gesicht bekommen habe. Die Tische sind bunt besetzt; an einigen diskutieren die Studenten lautstark. Es sind weiße und farbige Studenten. Doch zu meinem Bedauern gibt es 26 Jahre nach der Abschaffung der Rassentrennung keinen einzigen Tisch, an dem sich weiß und schwarz gemischt hätten.
Am Nachmittag steht der Ausflug zum nahe gelegenen Constitution Hill dem Hügel, auf ein Fort steht, das in den Burenkriege eine entscheidende Rolle gespielt hat und in dem während der Apartheid Nelson Mandela, Winnie Mandela, Mahatma Gandhi, Albertina Sisulu, Fatima Meer und viele andere inhaftiert worden waren.
Hier wurde deshalb 2004 das Südafrikanische Verfassungsgericht erbaut. Dieser Spaziergang wird von einem Deutschen geleitet, der ein Jahr im Once arbeitet, um sich über sein künftiges Leben klar zu werden. Leider hat er den Termin viel zu spät angesetzt, sodass alle Sehenswürdigkeiten, bis auf die Außenanlagen des Forts, bereits geschlossen sind. Zudem warnen die tief hängenden Wolken und der auffrischende Wind vor einem drohenden Wolkenbruch. Unser Guide, der tatsächlich davon überzeugt ist, in der gefährlichsten STadt der Welt zu leben, eilt wieder zurück ins Hotel – mit ihm die Gruppe. Doch da Thomas und ich morgen abfahren, bleiben wir und schlendern alleine über das Gelände. Leider können wir die zahlreichen Kunstobjekte, die in dem Gebäude des Verfassungsgerichts ausgestellt sind, nur von außen bewundern.
Abends gehen wir richtig aus. Wir haben einen Platz in einem Restaurant gebucht, in dem später ein Konzert mit dem King of Zulumusic Madala Kunene stattfindet. Auf dem kurzen Weg dorthin kommen wir an einer Lesung vorbei. Ein älterer Mann trägt vor – alle lauschen andächtig. Wie schade, dass ich nicht da bleiben kann. Das Essen stellt sich als exzellent heraus und tröstet mich schnell. Nach dem Essen dürfen wir in den Keller. Dort wartet ein riesiger Raum, der mit einem ebenso riesigen bunten Teppich und bequemen Stühlen und Sofas im Halbkreis dekoriert ist. Dahinter gibt es eine kleine Bar und Bartische, von denen man ebenfalls die Musiker sehen kann. Wir nehmen dort Platz und genießen die entspannte Atmosphäre – wie in einem überdimensionierten Wohnzimmer.
Zum ersten Mal auf unserer Reise sehe ich, dass sich weiß und schwarz unverkrampft und auf gleicher Sichthöhe treffen. Es ist schön anzusehen.
22.11.2019 Am nächsten Tag ist unser Zweier-Trip durch Südafrika beendet. Wir treffen unsere Freunde aus Südafrika am Flughafen und fahren gemeinsam nach Hoedspruit zu einem Haus namens Blypek. Es soll in einem privaten Naturschutzgebiet liegen und ganz nah an unserem eigentlichen Ziel, dem Blyde River Canon. Wir fahren durch die beeindruckenden weiten, grünen, hügeligen und bergigen Landschaften der Bundesländer Mpumalanga und Limpopo und genießen unser Wiedersehen nach der Zeit in Stellenbosch. Thomas hat für uns ein ganzes Haus in einem privaten Naturreservat, ganz in der Nähe des Blyde River Dams gemietet. Die Fahrt dorthin ist so romantisch und unsere Unterkunft ist so versteckt, dass wir erst im Dunklen ankommen. Die Inneneinrichtung mit der großen Küche, die fast das ganze Erdgeschoss einnimmt, lässt uns sofort heimisch fühlen. Wir studieren aufmerksam das Buch mit den Anweisungen für die Gäste. Dabei lesen wir: „Unsere Tiere sind verwöhnt. Die Zebras fressen am liebsten Karotten, die BushBabys Bananen.“
23.11.2019 Im wundervoll angelegten, fast wilden Garten entdecken wir beim Frühstück das Versteck der hiesigen BushBabys. Einige Antilopen huschen vorbei. Eine Schildkröte wandert gemütlich über den Rasen. Unauffällig, aber doch konsequent sind Blumen und junge Bäume mit Maschendraht geschützt. Wenn gerade niemand im Haus ist, durchqueren wohl die Wildtiere den Garten auf der Suche nach Leckereien.
Später erkunden wir ein bisschen das geschützte Gebiet des Blyde River Canyons, besuchen den Wasserfall, halten nach Krokodilen und Nilpferden Ausschau und erwandern das Besucherzentrum mit seinem beeindruckenden Ausblick auf See und Canyon. Als wir müde und glücklich in unser Airbnb zurückkehren, steht eine kleine Zebraherde unauffällig in der Nähe. Wir gehen ins Haus und holen Karotten.
Als wir wieder auf die Terrasse treten, sind die Zebras nähergekommen. Ihre vorderen Hufen klacken auf der Terrasse. Gierig strecken sie uns ihre Köpfe entgegen. Zart nehmen sie die Karotten aus unseren Händen. Manche lassen sich streicheln. Ich bin wie im Rausch, würde am liebsten alle Karotten der Umgebung aufkaufen. Doch die Zebras lassen sich nicht mehr blicken. Beim Abendessen beobachten wir dafür die BushBabies, die geschickt unsere Bananenstücke aus einem Korb angeln.
24.11.2019 Die Männer haben sich eine Tagestour entlang des Blyde River Canyons in den Kopf gesetzt. Wir Frauen gehen shoppen. Wir befinden uns ganz in der Nähe des Kruger Nationalparks. Auf der Straße dorthin gibt es gemütliche Restaurants sowie einen Kunsthandwerkermarkt auf einem großen Landgut. In den kleinen Boutiquen könnte ich fast alles aufkaufen – doch unser begrenztes Reisegepäck verträgt keine Spontankäufe. Wir sitzen also zusammen in der Sonne, genießen Ingwerwasserdrinks und philosophieren über Südafrika und unseren Blick auf die Geschehnisse.
25.11.2019 Ich bin von der Ruhe und der Schönheit unseres Airbnb so begeistert, dass ich zuhause bleibe, um zu Schreiben und die Ruhe zu genießen. Die anderen lassen sich die wilden Tiere im Kruger Nationalpark nicht entgehen. Obwohl es hieß, dass man aufgrund der Weitläufigkeit und der hohen Bewachsung kaum Tiere sehen würde, erzählen sie von tollen Begegnungen, sodass ich doch ein bisschen neidisch werde. Am Abend gehen wir in einem ausgezeichneten Restaurant essen. Da wir die einzigen Gäste sind, erzählt der Wirt uns seine Lebensgeschichte. Er ist drei Mal mit seinen diversen Geschäften an die Wand gefahren, hat fast überall in Südafrika gelebt und fühlt sich jetzt hier, auf dem Land, wo er mit den Tieren per du sein kann, richtig wohl. Er erzählt stolz, ohne Scham, ohne Ressentiments.
Alle weißen Südafrikaner, die wir bislang getroffen haben, haben schwere Schicksalsschläge hinter sich. Viele von ihnen trinken vielleicht einen Ticken zu viel. Doch alle sind stolz auf das, was sie geschaffen haben und glücklich da zu sein, wo sie gerade sind. Ich bewundere diese Kraft, sich selbst aus dem Dreck zu ziehen, diese Fähigkeit nach vorne und nicht nach hinten blicken zu müssen und das tiefe Vertrauen ins Leben, ganz nach dem Motto: „Alles wird gut – und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“
Viele Afrikaner strahlen ein ebenso tiefes Urvertrauen und Kraft aus. Ich glaube deshalb, dass weiß und schwarz gar nicht so verschieden sind, wie es die Afrikaaner glauben. Doch die Liebe zu Südafrika, die Liebe zu den Tieren, die Achtung vor der Magie der Natur sind beiden Parteien gleich. Wie sehr würde ich mir wünschen, dass wir Europäer mehr davon hätten.
26.11.2019 Heute ist Sightseeing per Auto angesagt. Mit eigenen Augen wollen wir die schönsten Ansichten des Blyde Rivers kennenlernen, der sich durch die Bergschluchten der Drakensberge kämpft und dabei 2000 Höhenmeter überwindet. Südafrikakenner halten diese Gegend für die schönste Südafrikas. Wir fahren auf der Panoramaroute nach Sabie, wo unser letztes Airbnb der Reise auf uns wartet.
Als ich die Busse vor uns sehe, befürchte ich Schlimmstes. Doch die Aussichtspunkte sind abwechslungsreich gestaltet, mit Bars und gehobenen Souvenirshops und wundervollen kleinen und großen Wanderungen zu den besten Plätzen mit der besten Sicht. Am Abend kommen wir müde aber glücklich in unserer kleinen Unterkunft mit Swimmingpool an.
27.11.2019 Nach einer erholsamen Nacht und einem kühlen Bad vor dem Frühstück fahren wir wieder zurück auf die Panoramaroute und besuchen die Ausgucke, die wir gestern auslassen mussten: Goldsucher Bourkes Glücktopf, die Mac Mac Wasserfälle und die Mac Mac Pools, in denen wir am Nachmittag ausgiebig schwimmen. Am Abend schlendern wir durch Sabie und gehen traditionell essen. Leider ist – mal wieder – die Wasserversorgung in Mpumalanga ausgefallen, sodass sie uns nicht die ganze Speisekarte anbieten können. Der Abend wird trotz unserer allgemeinen Wehmut, dass wir uns und dieses wunderbare Fleckchen Erde verlassen müssen, sehr nett.
28.11.2019 Wir stehen früh auf, verstauen unsere Mitbringsel und lassen unseren Freunden, alles, was unsere Koffer sprengen könnte. Noch ein ausgiebiges Bad im Pool, Yoga im Garten und ein herrliches Frühstück, von der Gastgeberin auf der Terrasse zubereitet. Danach gibt es keine Ausreden mehr. Wir setzen uns in unseren Leihwagen und fahren recht einsilbig zurück zum Flughafen im Johannesburg. Noch einen Kaffee am Flughafen. Schon trennen sich unsere Wege. Die Freunde ziehen weiter und besuchen andere Freunde und Thomas und ich checken ein, schlendern irritiert durch die Glitzerwelt der Duty Free Shops und besteigen gen Abend unser Flugzeug nach London. Morgen werden wir in München landen. Ob uns Anna wirklich abholen wird? Vielleicht begleitet sie auch Julian? Ich wage es nicht, darauf zu hoffen.