29. August – Petra holt uns ab und fährt uns zum Flughafen. Ich bin äußerlich ruhig, denke ich, doch in mir grummelt es: Warum diese Reise in einen Kontinent, der mir fremd und gefährlich erscheint? Warum in ein Land reisen, das für seine ausgedehnten Wüsten und seine unbarmherzige Sonne bekannt ist? Warum zu Menschen stoßen, deren Mimik ich nicht einschätzen kann und die allen Grund haben, mich als Deutsche zu hassen?. Immerhin sind wir Deutschen für einen Völkermord in Namibia verantwortlich. Noch immer besitzt die kleine Schicht der Deutsch sprechenden Namibier ein Großteil des gesamten Landes. Welch grundlegende Veränderungen sich dadurch für die Urbevölkerung ergeben haben, das werde ich erst langsam anfangen zu verstehen. Doch dazu später.
Es war der Traum meines Mannes, der Wüsten liebt und mein Wunsch die Schulfreundin und ihren Mann in ihrer neuen Umgebung zu sehen, die mich zu diesem Abenteuer getrieben haben – und nicht ganz zu vergessen, meine Neugierde auf die Welt und mein Wunsch, wieder viel Zeit mit mir und neuen Eindrücken zu verbringen.
Doch jetzt, hier in Petras Auto, würde ich am liebsten einen Rückzieher machen. Abenteuerlich verlief auch schon der Start, denn auf Münchens Rollbahn herrschte ein derartiger Stau, dass die Stewardessen von British Airways um unseren Anschluss nach Johannesburg bangten. Nach vielen Stunden doch fast pünktlich dort angekommen, überraschte mich der Luxus und der afrikanische Stolz, der in den Geschäften gezeigt wurde. Die neueste afrikanische Männerkollektion (tolle Stoffe, figurbetont geschnitten und gerade in Paris präsentiert), gefiel mir richtig gut. Daneben gab es edelstes afrikanische Kunsthandwerk und Schweizer Uhren zu schwindelerregenden Preisen. Mein Bild von Johannesburg als arme, kämpferische Stadt, die der Apartheidsregierung das Garaus macht, entpuppt sich als vom letzten Jahrtausend.
30.8.19 Auch in Windhoek wurde mir der Spiegel meiner Vorurteile vor Augen geführt: Der Mann, der uns vom Flughafen in die Ondekaremba Lodge bringen soll, wartet längst. Dies, obwohl wir pünktlich gelandet sind und er annehmen kann, dass wir uns erst Geld und namibische Simkarte holen würden. Während dieser halben Stunde bleibt er freundlich und gelassen, zeigt uns die richtigen Ansprechstellen und kommentiert mein ängstliches Genestel am „Geheimgürtel“ nicht einmal mit Blicken.
Auch alle anderen Menschen – hauptsächlich Farbige – behandeln uns völlig selbstverständlich. Sie erwarten, dass wir uns in die Schlange einreihen, helfen aber unaufdringlich, wo es nötig ist. Der gesamte Flughafen ist sauber, funktionell, aber keineswegs luxuriös.
Auf der kurzen Fahrt zur Lodge bestätigen sich einige meiner Ängste/Vorurteile: das Land ist nach bis zu acht Jahren ohne Regen völlig ausgedörrt. Die niedrigen Bäume stehen auf steinigem, sandigem Boden und sehen aus, als wären sie längst abgestorben. Die Landstraßen werden von mannshohen Drahtzäunen gesäumt. Dahinter sind Fahrspuren zu sehen.
Überwachung? Haben die Gutsbesitzer solche Angst? Muss ich doch Angst haben? Tatsächlich wird bei der Einfahrt zur Lodge ein Gatter geöffnet. Der Fahrer wird registriert. Warum? Meine Fantasien schlagen Kapriolen.
Der Mann, der das Gatter öffnet, hält jedoch keine Kalaschnikow in der Hand, sondern ein Klemmbrett mit Papier und Bleistift. Er nickt freundlich in den Wagen. Mir wird noch seltsamer. Schon geht es weiter. Wir schaukeln durch ausgedörrte Flussbetten, vorbei an knorrigen Bäumen mit wenigen grünen Blättern und schwarzen (verbrannten?) Stämmen und vielen Steinen. Da soll ich jetzt die Nacht verbringen? Alles sträubt sich in mir. Nach 15 min Fahrt auf der Sandpiste halten wir vor ein paar einstöckigen, reetgedeckten und mit frischem Grün verbundenen Gebäuden. Ist das die Farm?
In der Rezeption herrscht angenehme Kühle. Der Empfang ist wie selbstverständlich auf Deutsch. Die Formalitäten sind so schnell erledigt. Das Badezimmer von Annas Einzelzimmer könnte man als Tanzsaal ausbauen. Unser Doppelzimmer ist ein eigenständiges Häuschen , das die Größe einer französischen Ferienvilla hat. Dazu gehören zwei Terrassen, ein Grill und ein Kamin.
Ja, in Afrika kann es bitterkalt werden. Windhoek liegt schließlich auf 1650 Meter Höhe. Da kann es noch zu Minustemperaturen kommen. Kamin und Badepool gehören deshalb zur Grundausstattung jeder namibischen Lodge. das weiß ich aber noch nicht und staune deshalb über das Warzenschwein, das sich genüsslich über den Rasenteppich hermacht und die vielen Vögel, die hin und wieder Wasser aus dem Pool picken.
Obwohl die Ranch als perfekte Ankommens- oder Abflugsunterkunft angepriesen wird, da sie sehr nah am Flughafen liegt, ja er war früher Teil der Ranch, strahlt die Ondekaremba-Lodge absolute Ruhe aus. Bedienstete harken die Wege, wässern das zarte Grün, servieren selbst gebackenen Kuchen und zeigen uns, wo wir auf dem riesige Gelände spazieren gehen können. Niemand scheint in Eile zu sein. Auf dem Sunsetwalk sehen wir Antilopen und Paviane. Dazu weitere Warzenschweine und Vögel jeder Art und jeglicher Couleur! Die karge Landschaft zieht mich langsam in ihren Bann. Die Temperatur ist angenehm, die Farben werden wärmer, das Grün leuchtet.
31.8.2019 Am nächsten Tag holen wir unser Camping-Gefährt ab. 1,5 Stunden dauert die charmante Einweisung. Dennoch komme ich den Dimensionen nicht zurecht, als ich es auf der linken Seite vom Hof fahren will und überlasse Thomas das Steuerrad . Damit nicht genug, ich hatte so viel Schreckliches über den Verkehr gelesen, dass ich immer wieder auf langsameres Fahren zu dringe: „Vorsicht, da steht ein Warzenschwein am Straßenrand!“ “Achtung, Perlhühner!” “Vorsicht, unbefestigter Straßenrand …” Kein Wunder, dass wir feststellen müssen, dass die Zeit hier noch schneller als zuhause vergeht. Unser erstes Ziel, die Ameib Ranch im Erongogebirge ist so nicht mehr zu erreichen.
Stattdessen übernachteten wir auf halber Strecke in Groß Barmen. Dort, wo einst eine Missionsstation für die Herero (einer der elf Stämme Namibias) stand, gibt es heute jetzt ein elegantes Resort, dessen großzügige Außenanlage an einen amerikanischen Golfplatz erinnert. Bis wir zum ersten Mal unsere Dachzelte aufgeschlagen und uns mit dem Gaskocher angefreundet hatten, war es bereits stockfinster. Bewaffnet mit besten Stirnlampen, suchten wir nach dem Eingang zum heißen Pool. Ohne die Hilfe von erfahrenen Badegästen aus Windhoek hätten wir ihn allerdings niemals gefunden, so spärlich ist das Bad bei Nacht beleuchtet. Dafür war das riesige Pool wie in Kerzenlicht getaucht. Nach diesem warmen Bad war die Nacht in unserem, als „African loft Hilton“ angepriesenen Zeltdach ruhig und angenehm – das leichte Schaukeln erinnert mich an unser Wasserbett zuhause.
1.9.2019 Am nächsten Tag geht es dann tatsächlich zur Ameib-Farm, die mit einer Wanderung zur prähistorischen Höhlenmalereien sowie mit besonderen Steinformationen, BullsParty genannt, lockt. Die Ameib-Farm gehört zum Rhino-Trust, der sich der (Wieder-)Ansiedelung der Spitzhornnashörner sowie der berühmten Bergelefanten verschrieben hat. Auch diesmal gehört uns der gepflegte Campingplatz mit dem hellen Sand quasi alleine. Ein kleiner Pool lädt zu Erfrischung ein – und ist eine willkommene Erfrischung, denn inzwischen ist es für mich Nordländerin richtig warm geworden.
Ein junger Affenbrotbaum (Baobab) – nur 70 … Mir gefällt der Elefant am besten
Der Rundweg zur Phillips Höhle und zur BullsParty ist überraschend gut beschildert und sehr abwechslungsreich angelegt. Über ein steiles Wegerl geht’s hinauf zu Höhle, die über und über mit gut erhaltenen, naturgetreuen Abbildungen von Tieren ausgemalt ist. Thomas ist sich sicher, dass sich am Ende der Höhle ein Zeitfenster verstecken würde. Doch so sehr er seine Hand auch in den Schlitz steckt, er bleibt in unserer Zeit. Beim Heraussteigen aus der Höhle sehen wir, wie weit sich das Gebirge entlang streckt. Hier möchte ich mich trotz meiner Wasserflasche nicht verirren. Inzwischen ist es nämlich um die 35 Grad heiß. Für meine untrainierten Beine zieht sich der Abstieg zur BullsParty mit seinen runden Riesensteinen hin.
Dafür sichten wir die scheuen Hartmann-(Berg)Zebras, sowie Giraffen und Antilopen. Paviane warteten am Picknickplatz auf uns. Dort, bei dem BullsParty genannten Platz plätschert in guten Jahren ein Bächlein. Dementsprechend ist es plötzlich sehr grün. Hohe Gräser, große Bäume sorgen für Schatten und Abkühlung. Dieser Ort wäre ein fantastischer Picknickplatz, wäre ich nicht so müde und hätte ich nicht so viel Beunruhigendes über Nashörner gelesen. Hätte ich mehr gelesen, wüsste ich, dass Nashörner nicht gut bergsteigen können und deshalb eher oben auf dem Bergkamm zu finden gewesen wären.
Von meinen Ängsten getrieben, verzichten auch Anna und Thomas auf eine längere Rast an der BullsParty und eilen mit mir im Sonnenuntergang zum Campingplatz zurück. Dort werden wir mit einem typischen afrikanischen Sonnenuntergang belohnt.
2.9.2019 Swakopmund, oder Little-Deutschland. Ein perfekt gepflegter Campingplatz mit Golfqualitäten, kühles, nebliges Wetter, deutsche Straßennamen und wilhelminische Bauweise. Zwei fantastische Fischrestaurants am Pier, sowie eine echte deutsche Bierkneipe mit Schnitzel und Sauerkraut. Hier feiert sich die koloniale Vergangenheit mit großem Stolz. Gerne tituliert sich die Stadt als südlichstes Nordseebad Deutschlands. Reinstes Hochdeutsch wird in der Schule unterrichtet und die Zukunft optimistisch gesehen: „Sie (die Farbigen, die einst das ganze Land als Weideland genutzt hatten) sitzen in der Regierung, wir aber haben nach wie vor das Geld und die Macht“, erzählt uns der Besitzer des Lederwarenladens (italienischer Schick in Straußenleder ) ganz offen. Ja, als Deutsch-Namibier verstehe man sich als eine eigene (privilegierte) Gruppe innerhalb des Landes.
Vor der Stadt hat sich die erste Dampflok in den Wüstensand gefressen. Jetzt heißt sie Martin Luther: “Hier stehe ich. Ich kann nicht anders …”
Camingvergnügen Swakomunds berühmter Pier Überall Kolonialhäuser
Rentner aus vieler Herren Länder – auch aus Afrika – schätzen in Swakopmund die kühle Brise des Benguelastroms, andere Touristen dessen vielfältige Angebote: Robbenfütterung, Austernverköstigungen, Rundflüge über die nahe gelegenen Sanddünen, shopppen in der Mall, Fallschirmspringen, golfen. Wir entscheiden uns für ein exzellentes Abendessen im Le Tug, einem Fischrestaurant, das in einen alten Schlepper integriert wurde und in dem uns Marius aus Windhoek bedient. Marius? Italiener? Nein, waschechter Namibier mit schwarzer Hautfarbe – was es aber mit den europäischen Namen in Namibia auf sich hat, das werde ich am Versteinerten Wald lernen.
Am nächsten Tag (3.9.2019) besuchen wir das liebevoll zusammengestellte Museum, das uns in die Geschichte dieses Landes, dessen Fauna und Flora, seine Bodenschätze einführt. Anna liebt die Kolonialabteilung, mit dem Zahnarztbesteck, dem Kaufeträge in Mark und Pfenning ausweist und den Ochsenwagen. Beim anschließenden Apfelkuchen im Cafe Anton im Schweitzer Haus lassen wir unser Cityvergnügen ausklingen und fahren weiter Richtung Cape Cross und Robbenkolonie.
Am Strend von Hentiesbay Am Strend der Hentiesbay II Anna auf der Pad
Über eine Salzpad geht es die Skeleton Coast weiter zur Henties Bay. Skeleton Coast wird Namibias ganz Küste genannt, weil hier immer wieder Schiffswracks aus dem Meer staken. Auf den ersten Blick erscheint Henties Bay trostlos, obwohl es sich wegen seines Fischreichtums und der ewig langen Sandstrände als Tourismusort einen Namen gemacht hat. Da wir mal wieder später dran sind, als geplant, verzichten wir auf den Abstecher zur Robbenkolonie am Cape Cross und fahren gleich Richtung Landesinnere auf den Brandberg und Uis zu. Dafür durchqueren wir die Namib Wüste, die sich entlang der Küste erstreckt und hier Dorob Nationalpark heißt. Die Spitzkoppe, eines der Wahrzeichen Namibias lassen wir rechts liegen und holpern weiter auf den Sand‑, Steinpisten bis zur White Lady Lodge. Dort genießen wir das großzügige und kalte Schwimmbad, die Ruhe und den künstlich angelegten Teich, an dem sich morgens ganze Vogelheerscharen niederlassen. Wir gönnen uns ein „Farmers TV“, ein Feuer an der obligatorischen Feuerstelle neben unserem Standplatz. Der Abend ist mild und ich erahne, warum so viele Menschen ins Schwärmen geraten, wenn sie nur Afrika hören.
Auf dem Weg Pause im Elefantenbett White Lady
Am nächsten Morgen fahren wir weiter über die weiten Sandpisten zum Brandberg und zur „White Lady“, einer wunderbar erhaltenen, vielfarbigen Höhlenmalerei, die den Forschern seit Langem Rätsel aufgibt. Die Gemälde sind naturgetreu und sehr lebendig. Am schönsten aber finde ich die leuchtenden Augen unseres jungen Begleiters, der sich sicher ist, dass das Gemälde nur von seiner Volksgruppe den Damara herstellt sein kann. Der Student der Agrarwissenschaften zeigt uns die Spuren der seltenen Bergelefanten, der Leoparden, Klippsliefer und anderer Tiere. Er benennt Heilpflanzen und deren Verwendung und schwärmt vom unwirtlichen Brandbergmassiv, in dem er bald als Bergführer arbeiten darf. Die kleine Wanderung ist auch landschaftlich spannend, rote, verwitterte Felsen, grüne Akazienbäume mit ihren typischen Schirmen und tapfere Pflanzen, die sich gegen sengende Sonne, Sand und Trockenheit durchsetzen. Anna genießt die Wanderung, weil sie sich mit unserem Führer über das Studieren in Deutschland und in Namibia austauschen kann.
Göttliche Ruhe Duschen, so naturnah wie möglich
Danach geht es weiter über sogenannte Pads (Sandpisten mit vielen Wellen) zum Oanob-Camp, dem ersten Camp, das rein afrikanisch geführt ist. Schon der Empfang an der Rezeption und Bar ist wirklich herzlich, besonders als noch eine weitere Gruppe hereingeschneit kommt, die nicht minder durchgerüttelt, müde und verschmutzt ist. Das Gelächter und der Hinweis, dass wir uns glücklich zu schätzen hätten, angesichts der „african massage“ ist nicht verletzend, sondern aufbauend. Leider kann ich meinen Durst an der gut besetzten Bar nicht löschen, denn hier im Norden gibt es kein Internet und keinen Bankautomaten weit und breit. Bezahlt wird mit Bargeld.
In dem riesigen Camp verlaufen sich die drei Campingmobile völlig und wir haben die freie Auswahl, welche der originellen Dusch- und Klohäuschen wir nutzen wollen. Kaum haben wir uns ein wenig erholt, kommen lachende Menschen vorbei und laden uns zu einem Ausflug zu den Bergelefanten ein. Sie seien ganz nah und wanderten manchmal sogar bis ins Camp hinein. Leider müssen wir sparen, denn die nächste große Stadt mit Bankautomat wartet erst morgen auf uns.
Am nächsten Tag (5.9.2019) geht es über die Basalt-Orgelpfeifen und dem verbrannten Berg (viele Welwitschias, Namibias Wappenzeichen) zum Petrified Forest. Twyfelfountein, Namibias erstes UNESCO-Weltkulturerbe lassen wir großzügig links liegen.
Es handelt sich um Feldgravuren und Höhlen-Malereien, die vor circa 6000 Jahren angefertigt wurden. Sie dienten wohl zur Information der umherziehenden Stämme, die in dieser heißen und trockenen Gegend auf der Suche nach Futter und Wasserstellen waren. Da wir nur noch wenig Bargeld haben, verzichten wir auf das prähistorische Namibia und besuchen das „living museum“ der Damara. Menschen vom Stamm der Damara zeigen interessierten Touristen, wie sie einst lebten und wie sie jetzt leben. Wir müssen mit Fremdscham kämpfen, doch in Berichten war davon berichtet worden, dass solche Living Museums aus Eigeninitiative entstanden sind und eine willkommene Einnahmequelle, speziell für die Frauen darstellen. So halten wir vor dem Kraal und entscheiden uns für die Jagd- und Heiltour. Wir werden von drei Damara begleitet – dem Übersetzer, dem jungen Jäger und der älteren Medizinfrau.
Sie sind sehr freundlich und scherzen mit Anna. Beim Fallenstellen brauchen die jungen Männer aber doch den Rat der Medizinfrau. Auch Thomas stellte sich recht geschickt an. Doch bei der Feuerprobe muss er aufgeben. So sehr er sich auch bemüht, es will einfach keine Glut entstehen. Damit wäre ihm in früheren Zeiten die Erlaubnis zur Heirat entzogen worden, denn die Frauen dürfen nicht mit dem Feuer spielen .… Was ein Glück für mich, dass wir keine Damara sind! Das Volk der Damara, so unser Reiseführer Iwanowski, war in der Vergangenheit von anderen Stämmen oft unterjocht und sogar versklavt worden. Doch sie hätten sich aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse der namibischen Berge und ihrer Fähigkeit, Eisen zu schmieden, immer wieder schnell eine herausragende Stellung erarbeitet.
Tatsächlich sind mir die Damara, die wir kennenlernen durften, sehr sympathisch. Ruhig und freundlich sind sie uns gegenüber, aber auch voll Stolz und Würde, sodass wir uns in den doch sehr ungleichen Beziehungen (Dienstleistunggeber gegen Dienstleitungsnehmer) schnell wohl und beschützt fühlen.
Wie wir zu unserem Tramper gekommen sind, erzähle ich gleich. Doch jetzt geht’s erst einmal ins Dachzelt. Wenn die Sonne untergegangen ist, wird es schnell kalt.…
5.9.2019 Weiter geht´s Richtung Etosha Nationalpark. Wir halten uns an den Rat des netten Guide und übernachten im noblen Sophienhof. Schon am Gatter begrüßen uns stilisierte Geparden. Während der langen Anfahrt über das gepflegte Gelände, sehen wir Giraffen, Zebras und Gnus. Viele farbige Angestellte kümmern sich um den Rasen, die Tiere, oder bieten Gamedrives oder „nur“ die Gepardenfütterung an. Wir entscheiden uns für die Gepardenfütterung – und dürfen Straußen mit der Hand füttern und mit ins Gehege zu den Geparden.
Unserem Führer gefällt es offensichtlich, dass wir uns für „seine“ Babies interessieren – und zeigt uns seine Domteurskünste. Mir bleibt der Atem stocken. Ich atme erst wieder richtig aus, als wir das Gehege mit den Raubtieren verlassen haben. Das freundliche Angebot, uns abends kostenlos die Fütterung der Stachelschweine zu zeigen, überhören wir höflich.
Die gesamte Anlage ist so gepflegt, dass ich geschworen hätte, die Farm gehöre deutschstämmigen. Ich habe mich getäuscht. Die Besitzerin ist niederländischer, südafrikanischer Abstammung. Erstmals erkenne ich den Wunsch vieler niederländischer Auswanderer, einen eigenen Staat Eden ihr eigen zu nennen. Der Sophienhof kommt einem Eden relativ nahe. Die Angestellten leben mit ihren Familien auf dem Gelände. Die Unterkünfte scheinen sauber und menschwürdig zu sein. Jedes Eckchen des Parks ist so konzipiert, dass von überall schöne Blicke auf die vielfältige, scheinbar friedlich, zusammenlebende Tierwelt möglich sind.
Tatsächlich aber halten unauffällige Gehege sowie eine gute Konzeption die Tiere davon ab, die Blumenrabatte oder die Schuhe der Camper anzunagen. Nach dem Abendessen kommt unser Führer vorbei, um uns für die Nachtfütterung abzuholen. Er hat seinen Jungen mitgebracht, dem er ebenfalls sein Wissen über diese putzigen Tiere, die nachts ihr Unwesen treiben, weiterzugeben. Er erklärt uns begeistert alles über seine Schützlinge, bis mir die Augen zufallen.
6.9.2019 – 9.9.2019 Auch diese wunderschöne Farm ist von der Trockenheit betroffen. Täglich müssen sie ein Tonne Futter zukaufen. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Auch hier ist die Übernachtung auf dem Zeltplatz (wir sind wieder die einzigen) sehr preiswert. Wir fahren trotzdem weiter, der Etosha Nationalpark wartet. Drei Tage verbringen wir in diesem riesigen Nationalpark, der auch landschaftlich sehr schön ist. Auch wenn die Okaukuejo Campsite meines Erachtens die schönste, weil gut gepflegt und mit einem viel besuchten Wasserloch, ist, haben alle drei staatlichen Campites Halali und Namupoti ihr ganz eigenes Flair und ihre ganz eigene Schönheit. In Halali haben wir einen morgendlichen Gamedrive gebucht – und kamen voll auf unsere Kosten: zwei Mal sahen wir Leoparden, einmal Löwenmütter mit ihren spielenden Kindern. Dazu eines der seltenen Spitzmaulnashörner. Elefanten sahen wir tagsüber schon viele. Mit dem Löwen und dem Leoparden haben wir alle 4 der Big Five (Elefanten, Löwen, Leoparden, Nashorn und Wasserbüffel) in einem Gamedrive gesehen. Wasserbüffel gibt es in Namibia leider nur im Caprivi-Zipfel.
In der Nacht reißt uns ein Löwengebrüll aus dem Schlaf. Wir stolpern zur beleuchteten Wasserstelle, können aber leider nichts sehen. War es sein Schlachtruf? Oder sein Siegegeheul? Auf dem Capingplatz war er jedenfalls doch nicht. Wir leben noch und kehren enttäuscht zu unserem Dachzelt zurück, in dem Anna weiterhin ruhig schläft.
In der Etosha-Pfanne sehen wir richtig große Herden: Elefanten, Zebras, Gnus, Giraffen und Antilopen. Wir profitieren von der Dürre, denn alle Tiere müssen zu den seltenen Wasserstellen. Deshalb geht es an einem Wasserloch zu, wie auf einer Theaterbühne: Wenn die Elefanten abtreten, erscheinen die Giraffen, die Antilopen drängen sich gerne mit Zebras und Gnus an die gefährlichen Wasserstellen – nur Hyäne und Erdwolf streunen gerne alleine um die Wasserstelle.
9.9.2019 Wir kommen zu Namibias einzigen immer vollem natürlichem See, dem Lake Guinas, ein 134 Meter tiefer Karstsee, der der Umgebung zur Bewässerung dient. Welch Oase inmitten dieser Dürre! Hier in der Gegend werden Tomaten, Salat und Gemüse angebaut.
Nach einem schönen Spaziergang um den See, fahren wir weiter nach Tsumeb, einer ehemaligen Minenstadt, weil es dort ein liebevoll und lehrreiches Museum über die deutschen Bergwerksaktivitäten gibt, sowie ein Outdoormuseum, das traditionelle Kraalbauweisen der namibischen Stämme zeigt. Wir kommen spät an und suchen uns deshalb einen preiswerten Campingplatz inmitten der Stadt. Das Gelände um das Business Hotel ist riesig. Alles hier ist tiefgrün. Hohe Bäume beherbergen unzählige Vögel. Das Wunder heißt Bewässerung. Hier wird aber nicht nur bewässert, auch gepflegt. Kein Blatt zu viel liegt auf dem Rasen. Es gibt sogar eine kleine Insel mit einem Tempel auf dem Anwesen. Das Beste allerdings ist der hellblaue, glasklare 50 Meter Swimmingpool, der auch uns Campern zur Verfügung steht.
10.09.2019 Diese Anlage ist so schön, dass wir gleich noch eine Nacht anhängten und die Stadt zu Fuß erkunden. Wir erfreuen uns an deren Sauberkeit, die vielen Bougainvilleas und die vielen Schulkinder. Obwohl die Innenstadt fast rein schwarz ist, fühlen wir uns sicher und werden bei unserem Spaziergang tatsächlich nur freundlich bestaunt. Im Museum lernen wir viel über die Realität der ersten Kolonialherren und ‑frauen. Ich bewundere deren Tatkraft, Humor und Durchhaltevermögen. Es scheint, dass manche deutsche Siedler relativ schnell gute Beziehungen zu den früheren Besitzern des Landes aufbauen konnten.
Am Nachmittag besuchen wir das Arts Performance Center. In dem idyllischen, wie ein Dorf angelegtem Ort lernen auch unterprivilegierte Kinder bildende Kunst und Tanz und Musik: Geige, Flöte, Trompete, aber auch Marimba und Percussion. Alle Kinder sind mit Feuereifer dabei – auch wenn sie manchmal nach draußen geschickt werden, um einzelne Stücke noch einmal für sich selbst zu üben. Viele der Lehrer waren früher selbst Schüler dieser Einrichtung, die von Musiknoten, bis Geigensaiten oder Lehrer, jede Unterstützung benötigen kann.
11.9.2019 Wir besichtigen noch das Freilichtmuseum und lernen, dass die Ovambo, die ganz im Norden leben und die später maßgeblich den Krieg für die Unabhängigkeit Namibias von Südafrika führten, ausgefeilte Dorfstrukturen hatten, in denen das heilige Feuer niemals ausgehen durfte und die Bushleute, strenge Regeln, welche Plätze von Frauen betreten werden durften – und welche den Männern vorbehalten blieben. Gen Mittag sind wir in Grootfontein und besuchen das Museum Altes Fort. Anna und Thomas begeistern sich für die kolonialen Gerätschaften, mir gefällt die Anlage. Weiter gehts zum Hoba Meteorit, angeblich der größte Meteorit weltweit. Es ist ein fast kreisrunder, schwarzer Block, der an manchen Stellen silbern glänzt. Es besteht fast nur aus Eisen. Und wie bei den Mauerspechten kamen hierher Menschen mit Eisenfeilen und säbelten sich Stückchen aus diese Ur-Wesen heraus.
Jetzt ist alles überwacht und die silbernen Stellen rosten langsam vor sich hin. Und gerade deswegen ist der Meteorit so schön. Weiter geht‘s über Sandpisten zum Waterberg. Dieses riesige Gebirgsmassiv bekommt mehr Regen ab, als anderswo und heißt deshalb Wasser(Water)berg.
Hier eröffnete der Staat ein riesiges Naturreservat, in dem sich Nashörner wieder erholen sollen. Ich bin ein bisschen skeptisch. Thomas will wandern – ich aber keinen Nashörnern begegnen. Als wir also zur Rezeption hinaufgehen, um eine geführte Wanderung zu buchen, staunen wir nicht schlecht. Dort gibt es ein Restaurant, ganz aus Glas, das so in die Landschaft gebaut wurde, dass man aus eleganten Sofas und bequemen Sesseln in das lang gestreckte grüne Tal des Waterbergmassivs blicken kann, ohne auch nur ein bisschen Schweiß vergießen zu müssen. In diesem Ort trösten wir uns darüber hinweg, dass leider jede geführte Wanderung ausgebucht ist.
12.09.2019 So gehen wir am nächsten Tag ein paar der angezeigten Wanderwege ab, die wohl kein Zusammentreffen mit gefährlichen Tieren befürchten lassen und deshalb ohne Führung freigegeben sind. Die abwechslungsreich angelegten Pfade führten uns zu traumhaften Aussichtspunkten und an eine Quelle, die nur halb gefasst, sich in die Umgebung vergießt. Plötzlich herrscht fast dschungelartiges Dickicht. Leider können wir dem Hereroaufstandsgedenkweg nicht ganz zu Ende gehen, es wird schon wieder fast dunkel – und wir wollen noch bei Tageslicht abendessen.
Doch dieser Wanderweg sei jedem empfohlen, der sich für deutsche Kolonialgeschichte interessiert. Er ist in Zusammenarbeit mit allen Betroffenen entstanden und ein gelungener Versuch, Opfer und Täter zu benennen, um nach vielen Jahrhunderten endlich Frieden in die Seelen der Nachkömmlinge einkehren zu lassen.
13.9.2019 Heute früh erhalten wir einen Eindruck, wie schwer es Jäger hatten, das gut getarnte Wild aufzustöbern und zu erlegen. Anders als bei der Autofahrt in Etosha sieht man hier nicht weit. Die Tiere sind gut getarnt, das Unterholz tut sein übriges. So stolpern wir fast in eine Giraffenfamilie. Sie war wegen der Bäume für uns nicht sichtbar. Auch die Büffel sahen wir erst, als sie schon alarmiert von unserer Ankunft, im Schweinsgalopp an uns voreitrampelten. Ich erschreckte mich nicht schlecht.
Weiter und weiter ziehen wir mit unserem Guide, der ohne Anstrengung erkennen zu lassen, zu Fuß in brütender Hitze circa 6 Stundenkilometer vorlegt. Wir waren mit Abstand die Ältesten. Doch auch alle anderen ächzten und hätten fast ihr Interesse an den Nashörnern verloren. Ein Wasserloch nach den anderen haben wir bereits abgewandert. Doch keines dieser reizbaren Tiere will sich zeigen. Schließlich – nach fast dreistündigem Marsch werden wir fündig – und ehrfürchtig. Diese Urwesen sind so groß und so schwer, dass wir uns unserer großen Verletzbarkeit bewusst werden. Wir betrachten sie aus nächster Nähe, Der Guide achtet darauf, dass wir gegen den Wind stehen. Ein letztes Eintauchen in den Pool – und schon sind wir wieder auf der Piste.
Es geht zu den Dinosaurierspuren. Unser persönliches Jurrasic Park ist enttäuschend und verstörend zugleich. Nach langer Fahrt landen wir an einem fast verlassenen, leicht heruntergekommenen Campingplatz. Dort zahlen wir eine kleine Gebühr und erhalten ein Blatt Papier, auf dem der Weg zu den Spuren gezeigt ist. Es sind zwei – die kleineren und entsprechend weniger gut erkennbaren Tritte sind handtellergroß und circa 4 cm tief. Die anderen Handgroß und deutlich in dem Sandstein zu erkennen. Die ganze Umgebung – eine steinige Fläche in einer großen Farm – wirkt so alltäglich, dass es gar kein Fake sein kann. Doch wenn das wirklich Dinosaurierspuren sind, die da auf dem Boden mit roter Farbe markiert sind, warum gibt es dann keinen größeren Aufmarsch? Kein Andenkenladen, keine großen Schilder?
Ich gebe mir die Antwort selbst. Es ist Namibia – und der Tourismus ist in den letzten Jahren wieder stark eingebrochen. Da fehlt das Geld für Werbung, für Zäune, für Bewachung. Die Spuren sind echt. Das bestätigt ein großes, fast schon vergilbtes Schild am Eingang.
Nach diesem Ausflug erreichen wir bald Omaruru. Auf dem Campingplatz des River Guesthouses scheint die Wasserknappheit noch nicht angekommen zu sein. Es wird kräftig bewässert. So können wir unser Dachzelt unter riesigen Bäumen aufstellen und Kois im Teich bewundern. Das ist unglaublich erholsam nach all dem Sand und der Dürre des Tages. Im Garten der Lodge feiern wir den Überfluss deshalb gleich mit einem Gin Tonic.
14.9.19 ‑16.9.19 Nach einem Besuch in Omarurus berühmten Holzateliers – aus Treibholz des FLusses formen die Schnitzer wilde Tiere, die die ursprünglichen Formen des Holzes durchscheinen lassen. Danach besuchen wir die netten Deutschen, die sich in Namibias Sand dem Weinanbau verschrieben haben und fahren dann dick bepackt nach Windhoek, wo Julian bald ankommen wird. Das Airbnb ist ein wunderschönes altes Haus, sparsam, aber geschmackvoll eingerichtet. Der Gastgeber ist ein melancholisch chaotischer Journalist, der über Vergehen gegen den Tierschutz recherchiert und auf diesem Gebiet etliche Skandale aufgedeckt hat. Er zieht sich bald zurück und überlässt uns sein Haus, seine Hausangestellte und den WLAN-Schlüssel.
Kein Wunder, dass wir uns nach all den Tagen im Dachzelt, mehr für die zwei riesigen Bäder interessieren, als für Windhoeks Schönheiten. Trotzdem besuchen wir die am Sonntag leere Innenstadt und das Unabhängigkeitsmuseum, das von Nordkorea finanziert wurde und das die kommunistische Beteiligung beim Kampf um die Unabhängigkeit eindrucksvoll kitschig darstellt. Gott sei Dank ist der Tintenpalast nur wenige Schritte entfernt. Hier ist die Verfassung Namibias – Kinderrechte! – elegant in Stein gemeißelt.An der Verfassung hatten 1975 alle zwölf Bevölkerungsgruppen Namibias zusammengearbeitet. Aber erst 1990 – ein Jahr nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts – konnte sie in Kraft treten .
16.9.2019 Nachdem wir traurig Anna in den Flieger zurück nach Deutschland gesetzt haben, steuern Julian, Thomas und ich wieder im Auto mit Dachzelt den Süden Namibias an. Unser erstes Ziel: Lake Oanob Resort. Der künstliche See, in dem Baden und Wassersport erlaubt sind, dient der Wasserversorgung der Stadt Rehoboth. Das Resort, das neben Campingplätzen auch “game drives” (Safaris) und ein Spa anbietet, ist das einzige Hotel Namibias, das offiziell gelistet ist, und zugleich von einst unterprivilegierten schwarzen Einwohnern gegründet wurde.
17.9.2019 Wir verlassen diesen paradiesischen Platz und fahren in die ärmlich aussehende Stadt Rehoboth. Überall liegt Müll und Plastik auf den Grünfläche und im Gebüsch. Auch das Museum macht einen desolaten Eindruck – nur das kleine Mädchen, das mich bei der Hand nimmt, verhindert, dass wir gleich wieder gehen. Da tritt eine Dame aus dem Haus und bietet eine Führung an. Die Führung ist informativ – schließlich sind die „Baster“ Familien, die einst aus Südafrika auswanderten, da sie als gemischte (Burenväter und Namafrauen) Familien in Südafrika zahlreichen Restriktionen ausgesetzt waren, eine der 12 großen Ethnien Namibias.
Die Führung ist zudem witzig, da die Dame aus ihrer Ablehnung des überall spürbaren männlichen Chauvininsmus keinen Hehl macht. Sie scheint in der Tradition streitbarer Frauen zu stehen: Schon ihre Mutter wurde als erste Frau Ministerin im fernen Windhoek. Wir fahren weiter nach Solitär, dem Eingang zu Namibias Dünenparadies und touristscher Rummelplatz in Amilook. Die Unterkunft im Park war leider ausgebucht. So fahren wir lange am Park entlang, bis wir den ersten freien Campingplatz erreicht haben.
Oldtimer-Charm in Solitär Blick auf die Dünenberge
18.9.2019 Heute haben wir eines der Höhepunkte jeder Namibia-Rundreise abgehakt: Den Dünenparkt des Naukluft- Nationalparks, eines bis zu 150 km breiten Küstenstreifens, der sich vom Oranje (Südafrika) bis zum Kunene (Angola) hinzieht. Die Anreise gestaltete sich schon schwierig, da alle Campsites in der Nähe des Eingangs bereits ausgebucht waren. So brechen vor Sonnenaufgang auf, um pünktlich um 7:30 beim Gate zu sein. Die Holperstrecke bis dorthin wird zum Kampf um jede Bodenwelle. Niemand will seinen mühsam eroberten Platz bei der Zufahrt zum Gate aufgeben – das Ziel: den Sonnenaufgang auf eine Düne genießen. Jeder hüpft deshalb so schnell er sich traut, von einer Bodenwelle zur nächsten. Wir schaffen den Gateeintritt mit 30-minütiger Verspätung. So versucht Thomas durch Geschwindigkeitsüberschreitungen im Park noch etwas Boden wett zu machen, damit wir auf der Düne 45 den Sonnenaufgang genießen können. Doch schon lange bevor wir die Düne erreichen, bewundere ich die vielen verschiedenen Farben, die sich da zu den höchsten Sanddünen der Welt auftürmen. Trotz der unwirtlichen Bedingungen säumen grüne Bäume den Fuß dieser Sandberge. Unter dem Sand sind Steinberge versteckt. Deshalb sind sie so hoch. Es ist spannend zu beobachten, wie der Sand die Bergwelt erobert. Wie Schnee erobert sich der Sand nach und nach jedes Tal, jeden Vorsprung, jeden Gipfel, bis sich schließlich diese wunderschönen, sanften Windgebilde majestätisch aus dem Lehmboden erheben. Auch wenn ich es dennoch versuche, weiß ich doch, dass die Fotos, die ich jetzt schieße, nichts werden, denn der feine Küstennebel ließ alles wie hinter einem Weichzeichner verschwinden. Als wir endlich bei der Düne 45 ankommen, trau ich meinen Augen kaum – hier geht es schon zu, wie auf dem Oktoberfest: Auf dem kleinen Parkplatz vor der Düne wird gekocht, geklönt und gegessen. (Bei organisierter Reisen kochen oft die Tourbegleiter für die Gäste, während diese sich die Sehenswürdigkeiten ansehen. )
Fahrräder werden verstaut und immer wieder spucken Busse jeglicher Größen und Formen fotografierwütige Touristen aus aller Welt aus, die sich sofort in den Gänsemarsch auf die Düne einreihen. Da ein kalter Wind weht, ziehe ich mir meine Sweatjacke über. Es staut sich jedoch und bis wir die steile Düne erklommen haben, (der Sonnenaufgang ist längst vorbei) ist es angenehm warm, während der Sand noch die Restkühle der Nacht abgibt. Hinunter warten wir nicht, bis wir an der Reihe sind, sondern laufen einfach direkt senkrecht hinab. Welch ein Kindervergnügen!
Trotzdem uns der Kaffeeduft aus den Nachbarkannen begehrlich um die Nasen streicht, fahren wir gleich weiter zur Deadvlei, wo ich meine erste Unterrichtsstunde im Sandfahren glorreich überstehe. Es sind nur wenige Kilometer, doch inzwischen brüllt die Sonne so vom Himmel, dass selbst unser Sohn auf eine weitere Dünenbesteigung verzichtet. Mit den meisten anderen Touristen stapfen wir nur noch direkt zum Postkartenmotiv – weißer Lehmboden, schwarze Bäume, blauer Himmel und rundherum Dünen, die wie in Flammen getaucht sind. Während des kurzen Ausflugs vom Auto ist der Sand so brennend heiß geworden, dass ich mir vornehme nur noch mit Schuhen das Auto zu verlassen. Die nächsten 2,5 km Sandpiste kosten Thomas mindestens 100 graue Haare. Doch ich steuere unser Gefährt erfolgreich durch das aufgewühlte Sandmeer, das sich 4*4‑Drive nennt.
Soussvlei stellt sich als grüne Oase inmitten der Dünen heraus. Hierher verirren sich nur noch wenige Individualtouristen, die es sich unter den ausladenden Kameldornbäumen bequem machen. Dabei beobachten wir einen Schakal auf der Jagd. Eine farbige Frau hat sogar einen Tisch unter einen ausladenden Baum gestellt und ihn mit Tischdecke, Tafelsilber und Sektflöten geschmückt. Wie gerne hätte ich mich an die eine Tischseite gesetzt und einen dieser fantastischen namibischen Proseccos, die wir in Omaruru gekauft haben, entkorkt. Wir begnügen uns hingegen mit vorbereiteten Sandwichs, Äpfeln und einem improvisierten Vogelbad. Eine zarte Kapsperlingsdame hat es auf Thomas Straußenfeder abgesehen. Wir können es nicht glauben: Binnen einer halben Minute hat sie die riesige Feder aus dem Hut gezerrt und in ihr kleines Nest über unseren Köpfen verbaut.
Bei der Rückfahrt aus dem Park ist die Außentemperatur bereits auf 40 Grad gestiegen. Unser Interesse, den Sessriem Canyon zu Fuß zu durchqueren sinkt auf Null. Bei der Weiterfahrt Richtung Lüderitz finden wir überraschend einen wunderschönen, saftig grünen und einsamem Campingplatz, der noch dazu von farbigen Einheimischen betrieben wird. Welch Erholung die warme Dusche auf nur noch warmen 1500 Metern!
19.9.2019 Unser Übernachtungs-Abenteuer in der Nähe Maltahöhe bezahlen wir mit einem platten Reifen, den Julian und Thomas aber gekonnt wechseln, während ich leicht besorgt um die beiden herumschwänzele, immer in der Hoffnung, verhindern zu können, dass das tonnenschwere Gefährt auf Thomas Beine kracht. Doch Toyota hat an einen soliden hydraulischen Wagenheber mit langem Bedienarm gedacht. So stellen sich meine Sorgen wieder einmal als überflüssig heraus. Ungestört bewältigten wir nun die nächsten Kilometer bergauf zur Stadt Maltahöhe. Es geht vorbei an beeindruckenden Canyons und vielen, vielen Kameldornsträuchern – ein Hinweis für Überweidung dieses Gebiets. (Gräser sind Flachwurzler, die das seltene Regenwasser im Boden halten. Sträucher und Bäume sind hingegen Tiefwurzler, die das dringend benötigte Grundwasser anzapfen. Durch das Abgrasen der Gräser bis auf Bodennähe, sterben diese ab und überlassen das Revier den stacheligen Sträuchern, die von den Tieren nicht gemocht werden.)
Die Stadt Maltahöhe erzählt von vergangenem Reichtum: Tennisplätze, ein Gemeindeschwimmbad, ein altes Luxushotel, eine Tankstelle, mehrere Geldautomaten und ein großer Markt mit exquisitem Kunsthandwerk, sowie viele Männer sowie Kinder und Alte, die vor den Geschäften auf Abwechlung warten. Auch wir sind sofort umringt: „Hi friend, kommt ihr aus Deutschland?“ und barfüßigen Kindern, die Julian mit Mister anreden. Er lacht und gibt den Kindern kleine Münzen, Thomas unterhält sich mit den beiden Deutsch Sprechenden und ich hüpfe ängstlich herum und zische, lasst uns weiter gehen … Netterweise scheren sich meine Männer nicht um meine Ängste.
Die barfüßigen Jungen treffen wir im Supermarkt wieder, wo sie sich ein paar Groschen durch das Einpacken der Tüten verdienen. Und dank Thomas Smalltalkfreuden sind wir jetzt im Besitz von zwei schönen Schlüsselanhänger, die während wir auf die Reifenreparatur warteten, vor unseren Augen gefertigt werden.
Die Reifenpanne hat uns dann doch so viel Zeit gekostet, dass wir in Schloss Duwiseb nur einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Um das Schloss, das einem mittelalterlichen Burg nachempfunden wurde, gibt es eine grüne Talsenke, in der einst Pferderennen stattfanden. Der Schlossherr und seine amerikanische Frau hatten dort teure Rennpferde für den europäischen Markt gezüchtet, bis der erste Weltkrieg ihre Pläne durchkreuzte. Ich bekomme immer häufiger auch eine Hochachtung für die ersten weißen Siedler – auch wenn sie Kolonialisten waren – und somit das Fundament für die heutigen Ungleichheiten gelegt haben – sind sie mir doch auch Vorbild in Sachen Unternehmergeist, Wagemut und die Fähigkeit zu scheitern und wieder aufzustehen.
In Getta – viel schöner als Solitär – trafen wir die Radlergruppe wieder, der wir schon frühmorgens auf dem Weg zur Düne 45 begegnet sind. Auf dem Campingplatz, der von einem Farbigen geführt wird, stellten wir fest, dass uns bislang Campi ngplätze, die von Farbigen geführt werden, am besten gefallen haben. Die Unterkünfte sind fantasievoller und naturnäher, die Stimmung entspannter und freundlicher. Man fühlt sich einfach willkommen. Und deren Freude, dass man am Leben ist, egal, wie gut oder schlecht gerade die Situation ist, überträgt sich einfach.
So nehmen wir es auch sportlich, dass schon wieder ein Reifen platt ist, wechseln ihn und genießen dann einen Gin Tonic beim kostenlosen Blick auf die untergehende Sonne.
20.9.2019. Der kaputte Reservereifen zwingt uns, möglichst bald Lüderitz anzusteuern. Statt im Biossphärenressort zu übernachten, durchfahren wir nur die D 707 bis zur Farm der Familie Koch. Links der Straße erhebt sich das verwitterte Tirasgebirge. Auf den Bergkämmen locken wie Schattenspiele die geschützten Köcherbäume. Rechts der Straße genießen wir den Blick auf die beginnenden Sanddünen des Namib-Naukluftparks.
In Tiras an gekommen, sehen wir gleich einen fantastischen Ausguck. Dieser stellt sich aus unser privater Campingplatzpatz heraus. Gratis zum Rundumblick mit Oryxantilopen, Klippsliefern und Springböcken gibt es ein dickes Büchlein mit Informationen über die Geologie der Umgebung, ein Gespräch über das Leben als deutsche Farmer und eine Wanderung, die gerade die richtige Länge hatte.
Camping ist toll, denn hier in Namibia sitzt du umgeben von dieser intensiven Natur immer in erster Reihe. Manchmal fühle ich mich hier, als ob ich direkt auf Gottes Schoß sitzen würde.
Am 21.9.2019 nahm ich mein Loblied auf das Campen kleinlaut zurück. Thomas hatte uns in Lüderitz zwar auf dem staatlichen Campground eingemietet, doch in den alten Leuchtturm. Gespannt diskutierten wir, was wohl auf uns warten würde. Ein Turm – ohne Fenster – dafür mit vielen Betten? Klo und Duschen draußen auf der windumtosten Shark Island? Der alte Leuchtturm – eigentlich das Leuchtturmwärterhäuschen mit Türmchen – stammt, wie jedes dritte Gebäude der Innenstadt aus der Wilhelminischen Zeit, als hier ein gewisser Adolf Lüderitz aus Bremen den dort lebenden Stämmen das Land für en Appl und en Ei abluchste, da er statt der damals gebräuchlichen englischen Meilen (= 1,6 km) die geographischen Meilen (=7,4 km) dem Kaufvertrag zugrunde legte.
Da er die Rache der Betrogenen fürchtete, bat er Bismarck um Schutz, der er gewährte, nachdem die Engländer Interesse für dieses Gebiet bekundet hatte. Im August 1884 ließ er hier die deutsche Flagge hissen. Die deutsche Kolonie Südwest-Afrika war gegründet. Lüderitz hoffte in dieser unwirtlichen Gegend – eine rauhes, kaltes Meer, kein Trinkwasser weit und breit und Sanddünen, die den langen Weg ins fruchtbarere Innenland immer wieder neu versperren – Bodenschätze wie Kupfer, Gold und Silber zu finden. Er sah seinen Hafen auch als Versorgungsstation für die Walfisch- und Robbenfänger (Lebertran!) und hoffte darauf, dass hier Elfenbein und Felle aus dem Inland verschifft werden könnten. Tatsächlich verschuldete er sich nur mit seinen Expeditionen – und fand nichts als Sand. Von einer Reise, die erkunden sollte, ob der Oranje schiffbar gemacht werden könnte, kehrte er nie wieder zurück.
Lüderitz als Hafen inmitten der Wüste blieb aber erhalten und wuchs zunächst sehr langsam, bis 1908 beim Bau der Eisenbahn ein Diamant gefunden wurde. Die Geschichte des deutschen Diamantenfiebers hörten wir heute (22.9.19) im Rahmen einer Führung durch die Geisterstadt Kolmannskuppe. Noch heute werden Schmuckdiamanten aus dem Sand der Namib gesiebt, aus dem Meer getaucht oder durch Abtragen des Meerbodens an Land gefördert.
Allerdings ist die Ausbeute rund um Lüderitz zu niedrig. Diamanten tragen nur noch wenig zur Wirtschaftskraft dieses jungen Staates beitragen könnten.
Doch zurück zu unserem Leuchtturm. Es wartete ein entzückendes Häuschen mit guter Stube, zwei Schlafzimmern und zwei Badezimmern mit Badewanne und heißem Wasser auf uns. Draußen stürmts derart, dass wir an dem Tag das Haus mit den Fenstern in alle Himmelsrichtungen nicht mehr verlassen wollen. Stattdessen genießen wir das heiße Bade- Wasser, die sauberen Betten und den Rundumblick auf das tosende Meer. Wer hätte gedacht, dass ich mal in Afrika höllisch frieren sollte.
22.9.19 Die Tour durch die Geisterstadt mit Bäckerei, Schlachterei, Linde Kühlschränken und Theatersaal war beeindruckend: In dieser Sandwüste nach Diamanten zu suchen, ist buchstäblich wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Deshalb sind die glitzernden Steinchen so teuer, dass die Besitzer von Kolmannskuppe das erste Röntgengerät nach Afrika importierten. Nein, es ging nicht um gebrochene Beine, es ging um verschluckte Diamanten. Den Rest des Tages verbrachten wir in unserem Lighthouse und auf einer Fahrt zu den Buchten rund um Lüderitz. Wir sahen Flamingos, Austernbänke, Hochseefischer und brütende Möwen. Beim Aussteigen mussten wir die Autotüren festhalten, damit der frische Wind sie nicht aus den Angeln heben konnte – eine sehr neue Erfahrung. Allerdings konnte ich jetzt besser verstehen, warum die Küste Namibias Skeleton Coast genannt wird. Glücklich und erschöpft genossen wir das heiße Bad in unserer Unterkunft und hörten dem Rütteln des Windes an den Fenstern zu.
23.9.19 Thomas hat sich erkältet und schwänzte deshalb unsere Bootsfahrt entlang der Küsten und Inseln rund um Lüderitz. Wir sahen Delfine, Robben, Pinguine sowie ein Diamantenschürfboot und lauschten den Geschichten eines ehemaligen Diamantentauchers. Weiter ging dann die Fahrt über Bethanien (erstes Haus Namibias, erbaut von einem Bremer Geistlichen), bis zum Köcherbaumwald bei Kethmannshoop. Die Farm, auf der sehr viele dieser bis zu fünf Meter hohen und locker hunderte von Jahren alten Sukkulenten gefunden wurden, bietet neben einem Campingplatz auch Raubtierfütterungen an. Die männlichen Geparden heißen Saddam und Kadhafi. Warum wohl? Geparden töten mehr Tiere, als sie zum Überleben brauchen – „170 Schafe“, so erzählte der stolze Besitzer, der ein bisschen an Petterson erinnerte, in niederländisch anmutendem Deutsch, wurden neulich von zwei jungen Geparden gerissen.“
24.9.2019 Heute ist unser letzter Tag in Namibia. Wir verbringen ihn nach einer langen Fahrt durch die Steinwüste bei den heißen Quellen in AisAis. Zuvor warfen wir einen Blick in den größten Canon Afrikas, dem Fish-River-Canon. Hier ist vor nicht allzu langer Zeit unser Freund aus Stellenbosch durchgewandert. Es ist eine beeindruckende Wanderung, bei der man alles, das man in den fünf bis sechs Tagen braucht, selber mitschleppen muss. Ais, Ais liegt am Ende der Wanderung. Und so sahen wir, als wir im heißes Bad planschten, auch einen glücklichen Wanderer, der aus dem Canon kam. Abends im Restaurant essen wir zum ersten Mal Oryx. Es schmeckt wie sehr zartes Rehfleisch. Die lauten Familien-Gruppen, die mit Begeisterung um das Grillfeuer herumsitzen, gaben uns ein zwiespältigen Vorgeschmack auf Südafrika.