Tag 1 von Brigitte Elsässer

Tag 1 der Mise­re
Lie­be Fran­zis­ka,
was ist da auf uns zuge­kom­men, Coro­na­vi­rus, das müs­sen wir ja nun erst ein­mal in vol­lem Umfang begrei­fen. Wir haben gro­ße Ein­schrän­kun­gen unse­res bis­he­ri­gen Lebens in Kauf zu neh­men, sagen uns die Wis­sen­schaft­ler und Poli­ti­ker vor­aus.
Hof­fent­lich funk­tio­niert die Post noch eine Wei­le klag­los. Ich möch­te Dich und mich mit der Ver­wen­dung des hüb­schen Brief­pa­piers aus der Schub­la­de erfreu­en, bis womög­lich nur noch der nüch­ter­ne Email-Betrieb mög­lich ist.
Ich mache mir nicht nur dar­über Sor­gen.
Wie wer­de ich die Besuchs­be­schrän­kung aus­hal­ten? Stell Dir das ein­mal vor, man trifft Bekann­te auf der Stra­ße, Ein­kau­fen dür­fen wir ja gehen, und ich soll nicht ste­hen blei­ben für ein Schwätz­chen, oder nur in so gro­ßem Abstand, dass es eher uner­freu­lich ist. Ich mag gar nicht dar­an den­ken.
Nach­dem heu­te die Son­ne lacht, gehe ich erst ein­mal in unse­ren Hin­ter­haus­gar­ten. Die Pri­meln blü­hen und die For­sy­thi­en ste­hen auch in vol­ler Pracht. Ich den­ke, wir soll­ten uns an den Schön­hei­ten um uns drum­her­um erfreu­en, Sor­gen machen hilft uns eigent­lich nicht, wir wer­den wohl eher Tat­kraft brau­chen.
Hast Du die Vogel­häu­ser an Dei­nen Obst­bäu­men noch recht­zei­tig zu rei­ni­gen geschafft? Ver­mut­lich sitzt Du in der Veran­da beim Früh­stück und siehst dem mun­te­ren Trei­ben zu. Ich habe das Bild vor mir. Sobald wir wie­der klag­los rei­sen kön­nen, da hört man ja auch schon von Pro­ble­men, dann kom­me ich.
Also jetzt auf zur Gar­ten­ar­beit, auch wenn mei­ner noch so klein ist. Stadt­haus ist eben Stadt­haus und nicht die Vil­la im Park.
Für heu­te lie­be Grü­ße
von Dei­ner Freun­din Mela­nie
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Im Märzen der Bau­er
Hal­lo Mela­nie,
ach Mensch ja, die­sen blö­den Virus habe wir wirk­lich nicht gebraucht.
Das ist eine gute Idee von Dir das Brief­pa­pier­de­pot etwas zu erleich­tern. Wir müs­sen klein­wei­se ver­su­chen uns auf­zu­hei­tern und auf­pas­sen, dass wir uns von unse­ren Sor­gen nicht unter­krie­gen las­sen.
Ich bin bereits im Home­of­fice. Das wur­de von der Fir­ma ange­ord­net. Der Betrieb lässt sich wohl so auf­recht­erhal­ten. Aber wie lan­ge geht das gut? Evtl. müs­sen wir in Kurz­ar­beit. Das Gehalt wäre bei uns allen damit klei­ner.
Bei Hans-Peter ist heu­te eine Bespre­chung, wie es bei ihnen gere­gelt wer­den kann. Er muss mit sei­nen Mit­ar­bei­tern auch über ver­kürz­te Arbeits­zei­ten reden. Mit weni­ger Geld wür­den wir zwar halb­wegs hin­kom­men, aber nicht mehr so locker leben kön­nen. Du schreibst gar nicht, was Du für Dei­ne Fir­ma ent­schie­den hast.
Ja, der Gar­ten erfreut mich und lenkt ab. Die Vogel­häu­ser sind fer­tig und es ist ein geschäf­ti­ges Geflat­ter. Die Rosen habe ich im Herbst nicht geschafft zu schnei­den und jetzt trei­ben sie ja auch schon hef­tig aus. Ich ver­su­che trotz­dem noch etwas Form hin­ein zu bekom­men.
Ich muss ein­mal mei­ne Mut­ter anru­fen. Sie nör­gelt seit Wochen, wir möch­ten ihr doch bit­te hel­fen den Kel­ler auf­zu­räu­men. Ja, das gin­ge wohl, wenn wir bald mehr Zeit haben als gewohnt. Ande­rer­seits, wie soll das mit dem gefor­der­ten Abstand­hal­ten funk­tio­nie­ren? Nur die, die in einem Haus­halt zusam­men­le­ben, sol­len Kon­takt haben, schla­gen die Viro­lo­gen vor. Das ist zwar eine nach­voll­zieh­ba­re Emp­feh­lung, aber mit der eige­nen Mut­ter!? Ob es ihr wohl gefällt, wenn wir die Arbeit allein erle­di­gen wür­den, ohne sie viel zu fra­gen?
Oh Mela­nie, was kommt da noch auf uns zu? Ich sor­ge mich auch, das kannst Du mir glau­ben.
Lass uns vie­le klei­ne Brie­fe schrei­ben, das erfreut uns dann öfter.
Lie­be Grü­ße an dich und Dei­nen Paul
Dei­ne, Dir räum­lich nicht mehr so nahe Freun­din
Fran­zis­ka
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Tag 5 der Mise­re
Lie­be Fran­zis­ka,
ja, lass uns das so machen, lie­ber kur­ze und dafür häu­fi­ge Brie­fe. Die­ses Whats­App mit den halb­fer­ti­gen Sät­zen und den ledig­lich zuge­ru­fe­nen Bemer­kun­gen, las­sen wir jetzt ein­fach mal.
Kann Hans-Peter sei­ne vor­han­de­nen Auf­trä­ge noch aus­füh­ren? Beim Ein­bau­en einer Eck­bank oder was er da so machen soll, müss­te der Kun­de doch nicht dane­ben­ste­hen. Aber ver­mut­lich braucht er ja auch sei­ne Mit­ar­bei­ter, die Tei­le sind doch viel zu schwer für einen. Arbei­ten sie dann mit Mund­schutz?
Nur zu zweit aus einem Haus­halt Kon­takt zu pfle­gen, das kann bei Euch eher gar nicht gehen? Das ist doch ein viel inten­si­ve­res Zusam­men­le­ben auf dem Dorf und der Zusam­men­halt ist anders als bei uns in der Stadt. Du weißt es ja, bist ja schließ­lich hier in K groß gewor­den.
Mei­ne klei­ne Bon­bon­ma­nu­fak­tur, habe ich erst ein­mal geschlos­sen. Das Pro­dukt ist dau­er­haft halt­bar. Die Stamm­kund­schaft hat teil­wei­se Mails geschrie­ben und mun­tert zum Durch­hal­ten auf, das tut gut.
Bei Paul sieht es mit der Rei­se­tä­tig­keit nicht gut aus. Er wird die Kun­den jetzt eher per Inter­net bera­ten müs­sen, als die Haus­halts­ge­rä­te vor Ort vor­füh­ren zu kön­nen. Rein elek­tro­ni­scher Ver­trieb, wird das gehen? Hof­fent­lich kommt er in den nächs­ten Tagen heim, bevor Flug­hä­fen geschlos­sen wer­den. Sei­ne Fir­ma pro­du­ziert noch. Wird das so blei­ben? Ver­än­de­run­gen wird es geben – Unsi­cher­hei­ten über­all.
Ich schrei­be uns mal eine Email­adres­sen­lis­te von allen Schul­freun­din­nen, damit wir Kon­takt hal­ten kön­nen. Das schon lan­ge geplan­te Klas­sen­tref­fen rückt wohl in wei­te Fer­ne. Der net­te Zwi­schen­stopp bei Dir, auf dem Weg in die Ber­ge, fällt auch für län­ger aus.
Zuhau­se blei­ben ist der neue Slo­gan. Ja, ich sehe die Not­wen­dig­keit auch ein sich zu ver­ein­zeln. Das wird uns hier in der Stadt wegen des kul­tu­rel­len Ange­bots schwer­fal­len. Nor­ma­ler­weis ist es groß und ver­lo­ckend. Ver­mut­lich wird es lei­der nach und nach zum Erlie­gen kom­men.
Dein gro­ßer Gar­ten soll Dich erfreu­en und ablen­ken. Beginnst du jetzt mit dem schon oft geplan­ten Hoch­beet?
Bes­te Freun­din, bit­te bleib gesund und Dein Mann natür­lich auch.
Lie­be Grü­ße
Dei­ne Mela­nie
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Ach, der Märzen­bau­er
Lie­be Mela­nie,
auf den Fel­dern ist noch viel zu tun. Die Land­wir­te sind flei­ßig bei der Arbeit. Im Moment kom­men die Kar­tof­feln in die Erde.
Ich tu mich mit dem Hoch­beet etwas schwer. Der höl­zer­ne Rah­men ist noch nicht fer­tig. Ich will Hans-Peter jetzt natür­lich nicht dar­an erin­nern. Die Sor­gen um den Betrieb las­sen ihn kaum noch schla­fen. Ich habe im Herbst Rei­sig zusam­men­ge­tra­gen und gesta­pelt als Unter­grund für das Beet, mehr ist noch nicht pas­siert. Das The­ma muss erst ein­mal ruhen.
Mei­ne Fir­ma han­delt und trans­por­tiert im Wesent­li­chen mit Waren des täg­li­chen Bedarfs. Zusätz­lich haben wir Anfra­gen bekom­men nach frei­en Kapa­zi­tä­ten, um Medi­zin­tech­nik mit­zu­neh­men. Die Kli­ni­ken in Stadt und Land müs­sen ertüch­tigt wer­den. Logis­tik die­ser Art geht sogar vom häus­li­chen Schreib­tisch aus. Ich bin erstaunt.
Pan­de­mie! Kannst Du dich dar­an erin­nern, dass wir die­sen Begriff in der Schu­le anhand von Mathe­auf­ga­ben erklärt beka­men? Damals haben wir nichts davon geahnt, ein­mal selbst betrof­fen zu sein.
Mei­ne Schwä­ge­rin erzähl­te mir am Tele­fon, dass die Nach­bar­schafts­hil­fe Pro­ble­me hat, allen Anfra­gen gerecht zu wer­den. Im Ort ist die­se schlim­me Krank­heit jetzt auch ange­kom­men. Bei ihnen sind Mit­ar­bei­ter erkrankt.
Ach, Mela­nie die Sor­gen wer­den grö­ßer.
Bleibt bit­te gesund Ihr Groß­städ­ter.
Ganz lie­be Grü­ße schickt Dir
Fran­zis­ka
5
Tag 9 der Mise­re
Lie­be Fran­zis­ka,
Paul ist wie­der da. Er über­legt, ob er einen Coro­na-Viren­test machen lässt. Hät­te er dann nicht gleich erst ein­mal in Qua­ran­tä­ne gehen müs­sen? Wie und wo denn? Jetzt ist kein Arzt mehr zu errei­chen. Über­all über­las­te­te Tele­fo­ne. Was sei­ne Fir­ma wohl ent­schei­den wird? Sol­len wir bei­de hier mal pro­phy­lak­tisch 14 Tage in unse­rer Woh­nung blei­ben?
Bevor er kam, habe ich schon ein­mal Vor­rä­te ein­ge­kauft. Wir wer­den uns ein­fa­che klei­ne Mahl­zei­ten zube­rei­ten, dann hal­ten die auch lan­ge vor. Ich kann mich dar­an erin­nern, dass mei­ne Oma von Eiern in Senf­so­ße sprach, Kar­tof­fel­gu­lasch und Boh­nen­ein­topf. Sicher auch lecker. Was macht das mit uns, wenn der Lieb­lings­ita­lie­ner um die Ecke nicht mehr geöff­net haben darf?
In unse­rem Stadt­be­zirk hat die TAFEL einen Lie­fer­dienst ein­ge­rich­tet. Ob sie ihre Kun­den nach ihren Bedürf­nis­sen vor­her tele­fo­nisch befra­gen? Ver­mut­lich geht das gar nicht. Sie bekom­men viel weni­ger Waren zum Ver­tei­len als frü­her. Wie das? Stockt der Nach­schub in den Läden und damit das Res­te­auf­kom­men? Wie auch immer, das ist jeden­falls auch ein Pro­blem, mit dem sich Logis­tik­ex­per­ten beschäf­ti­gen müs­sen. Jeder Fili­al­lei­ter ist jetzt einer!?
Jede Kri­se hat ihr Gutes – man wächst mit sei­nen Auf­ga­ben- bit­te nein, kei­ne Phra­sen. Hät­te es da nicht auch ein klei­ne­res Pro­blem als Coro­na­vi­rus getan – ach Fran­zis­ka. Die Beweis­füh­rung ist auch noch nicht erbracht. Es wird dar­an gear­bei­tet, man hört davon – das macht wie­der etwas Mut.
Eine klei­ne Fami­lie hier im Haus unter­hält sich mit den Nach­bar­kin­dern über den Bal­kon. Sie brin­gen sich Zet­tel in den Brief­kas­ten und stel­len sich Bas­te­lei­en vor die Tür. Soll ich ihnen mit den Saft­gum­mi­bär­chen aus mei­nem Laden hin und wie­der etwas zuste­cken. Ich wer­de mir jetzt die Zeit neh­men und neue Rezep­te aus­pro­bie­ren.
Es ist noch kein Ende die­ser Mise­re abzu­se­hen.
Wie wer­den wir das meis­tern? MUTMUTMUT ist die Devi­se die­ser Tage.
Lie­be Grü­ße an Euch Bei­de
von Mela­nie
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Der April ist da
Lie­be Mela­nie,
oh, Süßig­kei­ten im Brief­kas­ten zu fin­den, das könn­te mir auch gefal­len. Ist doch Ner­ven­nah­rung. Wir müs­sen uns jetzt man­ches etwas Schön­re­den.
Die Rega­le in unse­rem Dorf­la­den sind noch gut gefüllt und die Selbst­be­die­nungs­hüt­te beim Land­wirt auch. Mei­ne Büro­ar­beit ist noch reich­lich, aber ohne den per­sön­li­chen Kon­takt zu den Kol­le­gen ist es schon etwas selt­sam.
Hans-Peter hat vom ört­li­chen Gast­wirt einen schö­nen Auf­trag bekom­men. Tische und Stüh­le sind zu über­ar­bei­ten. Der tut sich finan­zi­ell sicher etwas leich­ter als ande­re, ihm gehö­ren Haus und Grund­stück. Gewer­be­trei­ben­de, die Mie­te bezah­len müs­sen, sind in einer viel schwie­ri­gen Situa­ti­on. Die Behör­den wer­den inzwi­schen von Anträ­gen auf Zuschüs­se über­flu­tet, habe ich gehört. Die­se öffent­li­che Maß­nah­me hal­te ich für rich­tig. Das vie­le Geld, das das jetzt kos­tet, klei­ne und gro­ße Fir­men zu unter­stüt­zen muss ein­fach bereit­ste­hen. Wie das bewerk­stel­ligt wird, sol­len sich unse­re gut bezahl­ten Finanz­ex­per­ten mal bit­te ein­fal­len las­sen.
Der Tafel-Lie­fer­dienst bei Euch ist eine gute Idee. Unse­re Nach­bar­schafts­hil­fe macht das auch so. Das sich Schü­ler hier um die Insas­sen des Alten­heims küm­mern, hat mich gerührt. Schu­le per Inter­net, las­tet sie auch weni­ger aus. Das wir uns um ande­re Men­schen wie­der mehr Gedan­ken machen, ist eine Leh­re in die­ser Mise­re (Dei­ne tref­fen­de Bezeich­nung).
War­te mal einen Moment das Tele­fon läu­tet……
Oh, nein Mela­nie, jetzt ist das Pro­blem ganz nah, Mut­ter ist posi­tiv getes­tet. Wie sich das bei ihr aus­wirkt bleibt abzu­war­ten. Ich muss ins Dorf, um mir Schutz­klei­dung zu besor­gen, sie braucht doch sicher Betreu­ung? Ich muss unse­ren Arzt anru­fen, ob er noch Zeit für Haus­be­su­che hat. Ich bin ganz durch­ein­an­der. Was ist noch zu tun?
Aller­bes­te Mela­nie, jetzt müs­sen wir doch wie­der ins gewohn­te Mus­ter zurück: Whats­App usw. Ich rufe Dich an.
Bleibt gesund, alles Lie­be wünscht Dir und Paul

Dei­ne Freun­din Franziska