Punktesystem – ein Wort, das wir aus dem Handel schon lange kennen. Mit unserer
Payback-Karte oder wie immer sie sonst heißen mag, sind wir beim Einkaufen unterwegs,
wir lassen uns beeinflussen und kaufen dort, wo es die meisten Punkte gibt. Wir lassen
uns durch Sonderpunkte dazu verführen, auch mal etwas zu kaufen, das wir eigentlich im
Moment gar nicht brauchen – und wir sind stolz auf jeden errungenen Punkt, wir
beobachten unser Punktekonto und freuen uns schon auf unsere Belohnung, wenn wir
eine gewisse Anzahl erreicht haben werden. Wir werden auf diese Weise manipuliert und
zu guten Kunden „erzogen“. Vielen ist dies nicht bewusst, aber einigen eben doch – und
trotzdem machen sie weiter, nutzen ihre Karte, geben vielleicht auch dabei ein Stück ihrer
freien Entscheidungen auf.
Das soziale Punktesystem fußt neben seiner überwachenden und erzieherischen Funktion
im Grunde auf demselben Prinzip. Durch ein System von Belohnung und Bestrafung
werden Anreize geschaffen, sich so zu verhalten und anzupassen, wie es die Regierung
wünscht. Wenngleich man damit sicherlich Fehlverhalten stark reduzieren kann, wird aber
auch jedes individuelle und spontane Verhalten im Keim erstickt. Der Bürger, der sich
überwacht und beobachtet fühlt, wird sich jede seiner Handlungen mit Blick auf den
Punktekatalog überlegen. Er wird vielleicht auch Dinge machen, die eigentlich seinem
Charakter und seiner Art widersprechen, weil ihm dadurch eine stattliche Anzahl von
Punkten winkt, die ihm wiederum z.B. die kostenlose Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
für einen Monat erlauben. Er wird auf Dinge verzichten, die er zwar gerne machen würde,
die auch nicht verboten sind, aber einfach keine Punkte bringen. Der Punktekatalog wird
für ihn zum absoluten Leitfaden seines Verhaltens, er wird zur Marionette und seines
eigenen Willens beraubt. Noch werden die Informationen zur Punktevergabe gewonnen,
indem Online-Tätigkeiten, Internetrecherchen, Schulzeugnisse, Chats in sozialen Medien
und Ähnliches ausgewertet werden. Sicherlich werden irgendwann auch Menschen, und
sei es zunächst nur aus wirtschaftlicher Not heraus, damit beginnen, ihre Nachbarn,
Arbeitskollegen, Sportkameraden, möglicherweise auch Familienmitglieder, zu
beobachten und diese Beobachtungen weiterzumelden, um sich damit Punkte und somit
Vergünstigungen zu verschaffen. Eine Rückkehr zu Stasi-Methoden ist da nicht mehr weit.
Nur vordergründig dient die Punktevergabe dazu, Menschen für Wohlverhalten mit
Punkten zu belohnen. Dahinter steckt die verschleierte Absicht, ein ganzes Volk zu
Puppen zu machen, die man beliebig auf einem Spielfeld hin- und herschieben kann.
Selbst wer dies erkennt, kann sich nicht dagegen wehren, es sei denn, er möchte massive
Minuspunkte mit allen ihren Konsequenzen riskieren.
Wir können uns ein solches System für Deutschland nicht vorstellen; wir glauben an unser
Grundgesetz und darüber hinaus an den Datenschutz, der es zum Beispiel staatlichen
Stellen nicht möglich macht, bei Versicherungen, Banken, privaten Konten, in unsere
Personalakten und bei Kreditanstalten hinterlegten Daten Einsicht zu nehmen oder unsere
Telefone abzuhören. Wir selber schützen unsere Daten bei Internetgeschäften aller Art mit
Passwörtern, die wir selbst festlegen und nur wir selbst kennen. Auch das gibt uns ein
sicheres Gefühl – und dennoch können unsere Daten zum Beispiel durch einen Hacker-
Angriff auf einen Computer oder die Indiskretion von Mitarbeitern nach außen dringen und
missbräuchlich verwendet werden. Wir können uns nie absolut sicher sein – Big brother
watches you. Angst müssen wir vor dem Social Scoring in Deutschland nicht haben, aber
wir sollten grundsätzlich die Macht psychologischer Strategien – und sei es nur am
Beispiel Payback-Karte – nicht unterschätzen und immer wach und aufmerksam bleiben,
was um uns herum und mit uns passiert. Monika Kneps