Social Scoring – Monika Kneps

Punk­te­sys­tem – ein Wort, das wir aus dem Han­del schon lan­ge ken­nen. Mit unse­rer
Pay­back-Kar­te oder wie immer sie sonst hei­ßen mag, sind wir beim Ein­kau­fen unter­wegs,
wir las­sen uns beein­flus­sen und kau­fen dort, wo es die meis­ten Punk­te gibt. Wir las­sen
uns durch Son­der­punk­te dazu ver­füh­ren, auch mal etwas zu kau­fen, das wir eigent­lich im
Moment gar nicht brau­chen – und wir sind stolz auf jeden errun­ge­nen Punkt, wir
beob­ach­ten unser Punk­te­kon­to und freu­en uns schon auf unse­re Beloh­nung, wenn wir
eine gewis­se Anzahl erreicht haben wer­den. Wir wer­den auf die­se Wei­se mani­pu­liert und
zu guten Kun­den „erzo­gen“. Vie­len ist dies nicht bewusst, aber eini­gen eben doch – und
trotz­dem machen sie wei­ter, nut­zen ihre Kar­te, geben viel­leicht auch dabei ein Stück ihrer
frei­en Ent­schei­dun­gen auf.
Das sozia­le Punk­te­sys­tem fußt neben sei­ner über­wa­chen­den und erzie­he­ri­schen Funk­ti­on
im Grun­de auf dem­sel­ben Prin­zip. Durch ein Sys­tem von Beloh­nung und Bestra­fung
wer­den Anrei­ze geschaf­fen, sich so zu ver­hal­ten und anzu­pas­sen, wie es die Regie­rung
wünscht. Wenn­gleich man damit sicher­lich Fehl­ver­hal­ten stark redu­zie­ren kann, wird aber
auch jedes indi­vi­du­el­le und spon­ta­ne Ver­hal­ten im Keim erstickt. Der Bür­ger, der sich
über­wacht und beob­ach­tet fühlt, wird sich jede sei­ner Hand­lun­gen mit Blick auf den
Punk­te­ka­ta­log über­le­gen. Er wird viel­leicht auch Din­ge machen, die eigent­lich sei­nem
Cha­rak­ter und sei­ner Art wider­spre­chen, weil ihm dadurch eine statt­li­che Anzahl von
Punk­ten winkt, die ihm wie­der­um z.B. die kos­ten­lo­se Benut­zung öffent­li­cher Ver­kehrs­mit­tel
für einen Monat erlau­ben. Er wird auf Din­ge ver­zich­ten, die er zwar ger­ne machen wür­de,
die auch nicht ver­bo­ten sind, aber ein­fach kei­ne Punk­te brin­gen. Der Punk­te­ka­ta­log wird
für ihn zum abso­lu­ten Leit­fa­den sei­nes Ver­hal­tens, er wird zur Mario­net­te und sei­nes
eige­nen Wil­lens beraubt. Noch wer­den die Infor­ma­tio­nen zur Punk­te­ver­ga­be gewon­nen,
indem Online-Tätig­kei­ten, Inter­net­re­cher­chen, Schul­zeug­nis­se, Chats in sozia­len Medi­en
und Ähn­li­ches aus­ge­wer­tet wer­den. Sicher­lich wer­den irgend­wann auch Men­schen, und
sei es zunächst nur aus wirt­schaft­li­cher Not her­aus, damit begin­nen, ihre Nach­barn,
Arbeits­kol­le­gen, Sport­ka­me­ra­den, mög­li­cher­wei­se auch Fami­li­en­mit­glie­der, zu
beob­ach­ten und die­se Beob­ach­tun­gen wei­ter­zu­mel­den, um sich damit Punk­te und somit
Ver­güns­ti­gun­gen zu ver­schaf­fen. Eine Rück­kehr zu Sta­si-Metho­den ist da nicht mehr weit.
Nur vor­der­grün­dig dient die Punk­te­ver­ga­be dazu, Men­schen für Wohl­ver­hal­ten mit
Punk­ten zu beloh­nen. Dahin­ter steckt die ver­schlei­er­te Absicht, ein gan­zes Volk zu
Pup­pen zu machen, die man belie­big auf einem Spiel­feld hin- und her­schie­ben kann.
Selbst wer dies erkennt, kann sich nicht dage­gen weh­ren, es sei denn, er möch­te mas­si­ve
Minus­punk­te mit allen ihren Kon­se­quen­zen ris­kie­ren.
Wir kön­nen uns ein sol­ches Sys­tem für Deutsch­land nicht vor­stel­len; wir glau­ben an unser
Grund­ge­setz und dar­über hin­aus an den Daten­schutz, der es zum Bei­spiel staat­li­chen
Stel­len nicht mög­lich macht, bei Ver­si­che­run­gen, Ban­ken, pri­va­ten Kon­ten, in unse­re
Per­so­nal­ak­ten und bei Kre­dit­an­stal­ten hin­ter­leg­ten Daten Ein­sicht zu neh­men oder unse­re
Tele­fo­ne abzu­hö­ren. Wir sel­ber schüt­zen unse­re Daten bei Inter­net­ge­schäf­ten aller Art mit
Pass­wör­tern, die wir selbst fest­le­gen und nur wir selbst ken­nen. Auch das gibt uns ein
siche­res Gefühl – und den­noch kön­nen unse­re Daten zum Bei­spiel durch einen Hacker-
Angriff auf einen Com­pu­ter oder die Indis­kre­ti­on von Mit­ar­bei­tern nach außen drin­gen und
miss­bräuch­lich ver­wen­det wer­den. Wir kön­nen uns nie abso­lut sicher sein – Big brot­her
wat­ches you. Angst müs­sen wir vor dem Social Scoring in Deutsch­land nicht haben, aber
wir soll­ten grund­sätz­lich die Macht psy­cho­lo­gi­scher Stra­te­gien – und sei es nur am
Bei­spiel Pay­back-Kar­te – nicht unter­schät­zen und immer wach und auf­merk­sam blei­ben,
was um uns her­um und mit uns pas­siert
. Moni­ka Kneps