25.9.2019 Unser heutiges Ziel ist Namaqaland, wo sich jetzt im Frühjahr ein Blütenmeer ergießen soll. Doch leider stellen wir in Sprinbok fest, dass ein Reifen platt ist. Springbok ist ein kleiner Ort, aber nach Namibia bekomme ich fast einen Herzinfarkt, so viel ist hier los. Überall gibt es Geschäfte, Werbung, sofort ist jemand da, um uns zu helfen. Fast nur farbige Menschen sind auf der Straße und ich sorge mich wieder. Was werden diese Menschen mit unserem Auto machen?
Sie haben den kaputten Reifen in fünf Minuten gewechselt und verlangen dafür nur 50 Rand – 13 Euro. Um den kaputten Reifen wieder repariert zu bekommen, müssen wir aber um die Ecke zu einem anderen Geschäft fahren, das verlangt der Autovermieter. Dessen Besitzer diagnostiziert den Reifen als unreparierbar. Will er uns einen neuen Reifen andrehen? Ich sorge mich wieder. Doch Thomas lässt den Besitzer mit dem Autovermieter diskutieren – und wir machen uns auf, um eine Internet- und Telefonkarte für Südafrika zu besorgen. Wir werden in eine Art Kaufhof geschickt. Das Angebot in dem hellen, klimatisierten Geschäft überfordert mich: – mussten wir in Namibia maximal zwischen zwei ähnlichen Angeboten entscheiden, stehen hier von ein und der selben Sache mindestens fünf Angebote: Coke Zero, Coke-Sugar, Coke Ligh Coke Energy … Was für ein Entscheidungsstress! Immerhin können wir uns auf MTN als Netz-Provider einigen. Kurze Zeit später ist unser Auto auch schon wieder repariert. Allerdings, wo ist eine Radkappe geblieben? Beim Reifenwechsel? In der Shoppingmall, wo zwei Jungen auf unser Auto “aufpassten”? Bei der Reifenreparatur? Wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern, denn der Nationalpark, uns heutiges Übernachtungsziel, schließt gleich.
26.9.2019 Mit drei Campern ist der übersichtliche Campingplatz für unseren Geschmack nahezu voll. Und tatsächlich treffen sich alle auf einer der fünf Wanderungen durch den Nationalpark wieder. An engen Stellen gibt es deshalb schon mal einen Stau. Wie seltsam. In diesem Land müssen wir in der Natur anstehen? Die zwei jungen deutschen Frauen sind ebenfalls schockiert. In Namibia hatten sie zwei Wochen keine anderen Touristen getroffen – und jetzt gleich 7 auf einen Streich!
Leider gibt es wider Erwarten kaum Blumen. Auch Namaqualand, wie ganz Südafrika, leidet unter einer ungewöhnlichen Trockenheit. So ist es hier zwar ein bisschen grüner als in Namibia, doch weit entfernt von bunt, wie die Postkarten suggeriert hatten. Wir fahren weiter Richtung Süden, wo es von Kilometer zu Kilometer grüner wird. Wir übernachten in der Highlander Campsite, einem winzigen Weingut, ganz in der Nähe eines fließenden Flusses! Hier in der Gegend werden all die saftigen Zitrusfrüchte kultiviert, die als “Kap-Orangen” auf dem Viktualienmarkt landen.
27.9.2019 Es geht weiter nach Clanwilliam und von dort in die Cedermountains, die Zedernberge. Ein spannender Aufstieg zu einem Wasserfall wartet auf uns. Die Sonne brennt vom Himmel – und ich klappe bei dem einstündigen Marsch beinahe zusammen. Wie ich wohl auf den Baviaans Camino überstehen werde? Hier 230 Kilometer vor Kapstadt wird es immer grüner. Es gibt sogar Flüsse und Kühe! Noch knapp zwei Stunden und wir erreichen Stellenbosch und unsere Freunde – eine ganz neue Welt wartet auf uns!
28.9.2019 Wir genießen das Zusammensein mit unseren Freunden, den Luxus eines Hauses und legen eine Reisepause ein. Am Abend feiern wir diverse Geburtstage auf Jordans Weingut nach. Uns empfängt eine unglaubliche Aussicht – als läge uns ganz Stellenbosch zu Füßen – ein Wein, bei dem auf Sulfurzusatz verzichtet wird und ein Festessen, das von einem Spitzenkoch vor unseren Augen zubereitet wird. Die konzentrierte Arbeitsfreude der jungen Souköche kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ausschließlich Hellhäutige an den Tischen sitzen und den Luxus des Müßiggangs genießen, während Dunkelhäutige in Küche und Service zu sehen sind. Dass die kapitalistische Art der Rassentrennung die Regel und nicht die Ausnahme im Western Cape ist, werden wir in den kommenden Tagen lernen.
29.10.2019 Wir besuchen das hübsche, koloniale Zentrum Stellenboschs. Durch den Besuch des Stadt-Museums erfahren wir viel über die Brutalität der Sklavenzeit – und bemerken, dass viele Sklaven-Gesetze in den Zeiten der Apartheid wiederbelebt wurden. Einzige Ausnahme: Damals war Liebe und Ehe zwischen den Rassen akzeptiert.
30.9.2019 Wir genießen den touristischen Müßiggang, wandern auf den Stellenbosch Mountain, lernen den Fynbosch kennen, dessen Artenvielfalt Botanikerherzen höher schlagen lässt. Wir erfreuen uns an den großen, ausdrucksvollen Blüten der Protea, die ein bisschen wie Ananas-Zapfen aussehen und bei uns so manchen exotischen Blumenstrauß zieren. Wir finden genial angelegte Mountainbikestrecken – erkennen, dass viele Südafrikaner wirklich sehr sportlich sind.
1.10.2019 Wir fahren nach Kapstadt und besuchen ein soziales Projekt, das von unserem örtlichen Gymnasium unterstützt wird. Hier ein Bericht über Youth solutions Africa. Danach besuchen wir die Festung, von der aus die Kolonisierung Südafrikas stattgefunden hat.
2.10.2019 Wir lernen die Stellenbosch Universität kennen. Meine Freundin nimmt mich mit zu ihrem Seminar. :))) Wie schön! Einst hatte ich mit ihr die Unibank geteilt, jetzt ist sie meine Dozentin! Den Teilnehmer*innen gefällt das Seminar – und ich lerne viel über Stilmittel im modernen Film. Anschließend gibt es für alle eine Führung über das helle, freundliche Unigelände. Dennoch. Auch hier wurden die Schatten der Vergangenheit nur schnell übertüncht. Diese Gebäude dienten einst als Kaderschmiede für die Vordenker der Apartheidspolitik. Danach ein Besuch in Stellenboschs botanischem Garten – ein kleines Juwel für die Studenten! Man kann hier sehen, fühlen, riechen, dass die Gegend extrem fruchtbar ist. Auch der wachsende Einfluss Chinas – nicht nur auf Südafrika – zeigt sich hier im Kleinen: Es gibt eine große Bonsai-Abteilung im Botanischen Garten. Alle Bonsais sind sogar heimische Bäume! An der Universität wird neben Deutsch auch Chinesisch als moderne foreign language angeboten, deren Beherrschung für einen guten Abschluss notwendig ist. Der Chinesisch-Bereich ist im Gegensatz zum deutschen Bereich, bestens ausgestattet, berichtet meine Freundin.
3.10.2019 Heute besuchen wir eine der Höhepunkte des sogenannten Western Capes, des Bereichs rund um Kapstadt, der zuallererst besiedelt wurde. Wir fahren durch die Kaphalbinsel zum Kap der Guten Hoffnung. Uns begegnen Menschen leere Strände, kaltes Wasser – sehr erfrischend zum Baden – jede Menge Surfer und die erste Pinguinkolonie. In der Nähe des Kaps warten Paviane mit Babies auf den parkenden Autos. Ob doch vielleicht etwas für uns abfällt? Doch die Touristen sind gewarnt. Paviane können aggressive Plagegeister werden. Die Wanderung vom Parkplatz am Cape Point zum Fototermin am Kap der guten Hoffnung ist schwieriger und dauert länger als gedacht. Dafür ist sie wirklich abwechslungsreich mit vielen tollen Aussichten auf das tosende Meer. An der Olifants Bay sichten wir Antilopen und Straußenkinder. Auf dem Rückweg über den Chapman‘s Drive sitze ich am Steuer. Meine Männer können die atemberaubende Sicht auf einsame Buchten und schäumende Wellenkronen leider nicht genießen, zu sehr sind sie damit beschäftigt, die engen Kurven mitzufahren und aufzupassen, wann mir wieder ein lebensmüder Mountainbiker frontal entgegenrast.
4.10. 2019 Thomas und ich fahren allein nach Kapstadt, um mir eine Reithose einzukaufen. Die werde ich auf dem Baviaans Camino brauchen. Es geht schneller als gedacht, denn die angebotene Hose ist kräftig reduziert und passt. Wir fahren also noch zur neu errichteten Waterfront und besuchen das Zeitz-Mocca – das Museum für afrikanische Gegenwartskunst. Allein das Gebäude ist einen Besuch wert. Es zeigt die gelungene Umwidmung eines Industriebaus (Kornsilos) in einen Repräsentationsbau mit vielen überraschenden Durchsichten. Gerade läuft eine Ausstellung der Werke von William Kentridge, der sich in Videos, Zeichnungen, Wandteppichen und Installationen mit der Ungerechtigkeit, den Auswirkungen der kolonialen Vergangenheit auf die heutige Gesellschaft und mit den inneren Maßstäben unseres weißen Denkens auseinandersetzt.
Den Abend verbringen wir wieder in Stellenbosch beim Winetasting mit den Freunden. Diesmal sind wir auf dem privaten Weingut des deutschen Strumpfherstellers Peter Falke. Hier wirkt alles intimer, aber ebenfalls schön angelegt, wie Jourdans. Ich lerne, dass Peter Falke nicht der einzige deutsche Unternehmer ist, der ein Weingut in Stellenbosch sein eigen nennt. Weingüter sind hier übrigens viel, viel größer als in Deutschland. Trotzdem bleibt der gute Wein im Land – der Rest geht nach Deutschland und den Rest der Welt.
5.10.2019 Heute besuchen wir Kapstadts berühmten Botanischen Garten „Kirstenbosch“. Nicht nur die Fülle der blühenden Pflanzen gefällt uns, sondern die vielen kleinen Themengärten und Wege. So lernen wir in kurzer Zeit viel über die heimischen Pflanzen, was uns auf der Wanderung einen großen Vorteil einbringen wird. Allerdings wollen wir nicht allzu viel Zeit in diesem kleinen Paradies verbringen, das auch von vielen Südafrikanern jeglicher Hautfarbe geschätzt wird, unser eigentliches Ziel ist der Gipfel des Tafelbergs. Wir durchqueren also den Botanischen Garten und wandern mit vielen anderen jungen Menschen einen Wasserfall hinauf. Es gibt zwar manchmal kleine Staus, dafür gluckert es überall und wir wandern im Schatten. Oben auf dem Plateau angekommen, eröffnet sich ein so wunderbares Rundumpanorama, dass wir die Anstrengung nicht mehr wahrnehmen. Zudem weht beständig ein kühler Wind. Wir hatten schlossen, die Bahn zurückzunehmen, weil sie ebenfalls unglaubliche Blicke verspricht. Was wir allerdings nicht wissen: ausgerechnet an dem Tag feiert die Bahn ihren 90. Geburtstag, Wir stehen also so lange an, dass wir längst unten gewesen wären, wären wir zu Fuß gegangen, oder hätten wir uns abgeseilt, wie es dort angepriesen ist. Die Abfahrt ist trotzdem ein unvergessliches Erlebnis, weil sich die Kabine während der Fahrt um 360 Grad dreht. So sitzt jeder einmal in der ersten Reihe. Auf unser Rückfahrt zum Kirstenbosch mit dem Uber-Taxi stelle ich fest, dass Kapstadt viel, sehr grüne, schöne und reiche Ecken hat. In einem persischen Restaurant in Stellenbosch feiern wir den bevorstehenden Abschied – und zum ersten und letzten Mal im Western Cape sehe ich, dass Weiße und Dunkelhäutige gemeinsam im Service arbeiten.
6.10.2019 Die stillen Tage in Stellenbosch neigen sich ihrem Ende zu. Meine Freundin und ich unternehmen einen letzten Spaziergang ins Grüne, dann holen Thomas und ich unser neues Gefährt ab, einen Toyota Corolla – ohne Dachzelt. Später fahren wir mit der Fähre nach Robben Island, wo unter vielen anderen politischen Gefangenen des Apartheidregimes auch Nelson Mandela im Steinbruch arbeiten musste. Ein ehemaliger Insasse führt uns. Noch immer zittert er, wenn er von den drakonischen Strafen für – beispielsweise vergessene Ausweise – erzählen muss. Anhand seines Stotterns und Zögerns erahne ich, wie traumatisierend das Gefängnis gewesen sein muss, weil das Regime, das erst lange nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation beendet wurde, jegliche Solidarisierung der Nicht-Weißen zu verhindern suchte. Ganz nach dem Motto teile und herrsche, hatte jede noch so kleine Bevölkerungsschicht ihre eigenen Verpflichtungen und Schein-Privilegien. So auch die Gefangenen: Robert Sobukwe lebte auf Robben Island in einem eigenen Haus und durfte Zeitungen lesen und auch Radio hören. Dafür war ihm jeglicher Kontakt zu anderen Menschen – außer seinen Bewachern verboten.
Nelson Mandela konnte hingegen mit ein paar Mithäftlingen sowie einmal mit einem Journalisten sprechen. Dafür waren alle von Informationsquellen abgeschnitten und durften nur alle sechs Monate Besuch von der engsten Familie empfangen. Diese Gespräche wurden dann selbstverständlich mitgehört und mussten deshalb auf einer Weißen-Sprache geführt werden.
Im Gefängnis sind Infotafeln aufgestellt. Doch leider reicht die Zeit nicht, auch nur ein paar von ihnen zu studieren. Zudem lief während der Überfahrt zur Insel statt Infos über die Apartheid und den Kampf gegen sie, ein Film, der alle teuren touristischen Highlights Südafrikas zeigte. Die Besatzung begrüßte uns dann noch mit einem „Enjoy the trip“. So fällt unser Gesamt-Urteil beim Abschiedsessen in einem leckeren persischen Restaurant in Stellenbosch doch eher verhalten aus.
7.10. 2019 Wir packen das Auto, verabschieden uns traurig von unseren Freunden und bringen Julian zum Flughafen. In Kapstadt schlendern wir noch durch die Waterfront, dann fahren wir zur Betty‘s Bay, um uns dort über die watschelnden Pinguine, die sich gerne unter Autos verstecken, zu amüsieren.
In Hermanos wundere ich mich über die Sauberkeit und Ordnung im wirklich preiswerten Backpackers. Es gibt sogar ein Abendessen, zubereitet vom Chef. Leider läuft das Gespräch etwas aus dem Ruder. Alle, die nicht für die Apartheid sind, seien nichts als Kommunisten. Ich wage es nicht, den Angetrunkenen offen zu widersprechen und werde mich später sicher dafür schämen.
8.10. 2019 Wegen einer Sturmwarnung fallen alle Bootsausflüge aus. Wir schlendern deshalb den langen Weg um die Bay entlang und bewundern das aufgewühlte, glitzernde Meer. Nebenbei lesen wir die Infotafeln, sichten eine Walmutter mit Kind und beobachten eine Robbe beim Spielen.
09.10. Weiterfahrt über Elim, einer ehemaligen Missionsstation der Herrnhuter Brüdergemeine. Noch immer gehört der denkmalgeschützte Ort der Gemeinde. Was im Reiseführer als hübsch renovierte Siedlung angepriesen wird, ist auf den ersten Blick ein ärmliches, verstaubtes Dörfchen mit Bewohnern vieler Hautfarben und einer überdimensionierten, weißen Kirche. Dahinter versteckt sich ein gepflegter „Bibelgarten“ mit verschiedenen Bäumen und Pflanzen und dazu passenden Bibelzitaten.
Wir gehen das Labyrinth der Dankbarkeit ab und entdecken voll Freude unzählige Vogelnester mit kreischender Brut und gestressten Eltern. Auf den Besuch des größten Holzwasserads Südafrikas verzichteten wir, weil der kalte Wind den Ort nicht gerade einladender macht. Immerhin gibt es ein „Royal Cafe“, das sich als verdreckter Krämerladen herausstellt und ein Museum. Wie entscheiden uns für das „Museum“. Nachdem uns die ältere Dame über die Moravian Church aufgeklärt hat, lässt sie uns mit den Exponaten allein. Geduldig betrachten wir vergilbte Fotos ehemaliger Schulabgänger*innen, vergangener Feste und heimischer Pflanzen, bis wir auf eine vollmundige Zeitungsankündigung, in Elim würde Südafrikas einziges Sklavenerinnerungsdenkmal errichtet, stoßen. Offensichtlich flüchteten sich einst viele freigelassene Sklaven in die ehemalige Missionsstation – daher wohl die verschiedenen Hautfarben der meist älteren Bewohner. Neugierig verlassen wir den verstaubten Erinnerungsplatz und machen uns auf die Suche nach diesem bahnbrechendem Projekt.
Eine Kirche der Herrnhuter Brüdergemeine Bibelgarten mit roten Webervögeln Museum Südafrikas einzigstes Sklavendenkmal
Es stellt sich als Gedenkstein auf dem Dorfplatz heraus, der so eingezäunt ist, dass wir die Inschrift nicht lesen können. Immerhin sehen wir stattdessen einen Kindergarten und lachende Frauen und verlassen diesen Ort mit einer zweiten schönen Erinnerung.
Unser Ziel ist Cap Agulhas, der südlichste Punkt Afrikas. Am Cap der Stürme liegt auch ein kleines, hübsches Dörfchen, in dem wir uns in einem kleinen Cafe mit üppigem Pie und Torte vor dem Wolkenbruch retten. Danach gibt es einen schönen Strandspaziergang mit Leuchtturm zum südlichsten Punkt. Die Gegend erinnert jedoch weitaus mehr an einen Spaziergang auf Sylt, denn an Afrika.
Nach ein paar Fotos und einem kleinen Rundgang, um die dort aufgestellten Kunstwerke fahren wir weiter nach Swellendam, nach Stellenbosch Südafrikas drittältester Ansiedlung.
Wir übernachten dort in einem Privatzimmer und werden von einer überdimensionierten Bibel an der Garderobe überrascht. Sie erinnert an die Bibeln, die die ersten Einwanderer auf ihrer Suche nach dem Ort, in dem sie ihren (reformierten) Glauben ungehindert ausleben dürfen, mitgebracht haben. Das Zimmer ist praktisch eingerichtet – mit einer kleinen Terrasse und die Restaurant-Tipps des hageren Gastgebers erweisen sich als preiswert im wahrsten Sinn des Wortes. Langsam genießen wir das Reisen zu zweit.
10.10.2019 Am nächsten Morgen fahren wir zu Südafrikas kleinstem Nationalpark, dem Buntebocknationalpark. Er wurde auf dem Gebiet einer früheren Pferderennstrecke eingerichtet, um eigens eingerichtet wurde, um Buntböcke, eine hübsche, weil kleine und mehrfarbige Antilopenart, zu retten. Der dort ausgeschilderte, sieben Kilometer lange „Aloe-Hill-Trail“ führt uns vorbei an blühenden Aloebäumen, an alten KhoiKhoi-Siedlungen, an Aussichtspunkten und eleganten Cottages. Wir sehen Buntböcke und andere Antilopen, zwei verschiedene Schildkröten, knallrote Webervögel und von Weitem Hartmann-Berg-Zebras.
Auf dem Aloe-Hill-Trail
Wie immer wird es später als gedacht. Weiter geht‘s nach Barrydale. Dort habe, so hatte ich gelesen, habe das Litte Karoo Art Hotel den von Mercedes Benz gesponserten Publikums-Gourmet-Wettbewerb bereits zum zweiten Mal in Folge gewonnen. Welche Küche mögen wohl die Kapstädter?
Wir wissen es leider immer noch nicht, denn als wir ankommen, ist die Lunchtime vorbei. Die Rezeptionistin schickt uns zu Diesel&Creme um die Ecke. Sie möge die Milchshakes dort. Gesagt, getan. Wir biegen zweimal links ab und trauen unseren Augen nicht: Hier sieht es aus, wie auf der Route 66 in den USA. Motorräder, Kunsthandwerk, Metallschilder und jede Menge verrosteter Tand aus den Fünfzigern. Es gibt Burger und Country-Musik in „Ronnies Sex Shop“, der mit BHs und Damen-T-Shirts aller Größen – mit Datum und Unterschrift – dekoriert ist. Dazwischen sitzt Ronnie mit langem grauen Bart und ebenso langem Zopf. Auch die Besucher – wenn es nicht gerade deutsche Touristen sind – fahren ausschließlich in Oldtimertrucks herum. Hippies?, Farmer?, Ausländer?, Drop Outs?
Tatsächlich waren die Menschen in dieser Gegend, die in ihrer Weite und Trockenheit an Texas erinnert, von Anfang an rebellisch: Kaum hatten sie von der Niederländischen Ostindien Kompagnie (VOC) Land zugewiesen bekommen, haben sie auch schon den von der Ostindienkompagnie eingesetzt Landvogt abgesetzt und sich selbst organisiert – allerdings nur für ein paar Monate, so unser Iwanowski-Reiseführer.
Was mir hier besonders gefällt, ist die Berglandschaft und dass die Häuser weniger gesichert sind und dass die Townships hier deutlich weniger krass sind als in Kapstadt oder Stellenbosch.
Die Menschen scheinen Zeit zu haben, Wert auf gutes Essen zu legen und irgendwie rebellisch zu sein. Die ganze Gegend erinnert mich an ein kleines Dorf in Gallien …
Befremdlich sind jedoch die vielen, vielen Kirchen in Oudtshoorn, der Hochburg der Straußenfarmen. Methodisten, Zeugen Jehovas, Lutheraner, Anglikaner und viele andere. Der deutlich gezeigte Glauben schließt einen offen gezeigten Rassismus nicht aus. Beispielsweise erbaten unsere AirBnB-Gastgeber in Oudtshoorn Gottes Segen für uns, erklärten aber später beim Abendessen offenherzig, dass sie die Schwarzen hassen würden.
Wie das zusammengeht? Vielleicht ist das ein Relikt aus Sklavenzeiten? Damals wurden die Sklaven nicht missioniert, weil man ihnen sonst mehr Rechte hätte zugestehen müssen. Sind Menschen mit brauner oder schwarzer Hautfarbe immer noch keine wirklichen Menschen? Oder stammt der Hass aus den Eckchen Angst? Unterstellen wir „Weißen“ den deutlich unterprivilegierten Farbigen Rachegefühle? Schließlich waren sie einst die Besitzer dieses wunderschönen Landes? Jetzt leben sie oft unter unwürdigeren Umständen als irgendein Hund in diesem Land. Die Frage nach Wut und Hass hatte ich John Philmon schon gestellt. Er verneinte Rachegefühle bei den Menschen, die er kenne, wohl aber hätten sie die Hoffnung, dass es zumindest ihre Kinder einmal besser haben sollten.
Tatsächlich spüren wir keinen Hass, wenn wir zu Fuß durch Ortschaften gehen, eher positives Erstaunen. Häufig wird mir auch freundlich zugenickt.
Unsere AirBnB-Gastgeber sind nicht die Einzigen. Seit Thomas und ich allein unterwegs sind, hören wir viele Geschichten darüber, wie „die“ das Land kaputt machten, wie ungerecht die Weißen jetzt behandelt würden, wie schlecht „sie“ arbeiten würden … Selbst in Universitätskreisen wird mir erklärt, dass die Apartheid nicht ganz falsch gewesen sei.
Am 11.10.2019 fahren wir von Oudtshoorn Richtung Schwartbergpass zu den Tropfsteinhöhlen. Sie zählen weltweit zu den größten Höhlensystem insgesamt, steht in unserem Reiseführer. Wir buchen aus Kostengründen die „Normaltour“. Später werden wir darüber heilfroh sein, denn während der richtig engagierten Führung durch die schönen, großen und hohen Räume mit den Fließsteinen, Pilastern, Stalaktiten und Stalakmiten, mit „Orgelpfeifen“ und „Honeymoonsuite“ und, und, und … erfahren wir, dass bei einer Adventuretour eine Dame in den engen Gängen der anderen Höhlen stecken geblieben ist und erst nach 13 Stunden mittels Massagen, Babyöl und kräftigem Drücken freigekommen ist.
Das sei aber nicht das Schlimmste gewesen: Weitaus schlimmer war, dass mit ihrer eigenmächtigen Aktion – der Guide hatte sie gebeten, nicht weiter zu gehen – schnitt sie ihrer Gruppe den Rückweg aus den noch engeren Höhlensystem ab. Und dies ausgerechnet am Morgen des 31.12.! Wenn das kein Stoff für eine Kurzgeschichte ist …
Wir sind also heilfroh eine seniorengerechte Tour gebucht zu haben, denn langsam wissen wir, dass die weißen Südafrikaner hart gesotten sind. Unsere Freude wird jedoch nicht lange anhalten.: Der Swartbergpass wartet auf uns. Er gilt als schönster Pass ganz Afrikas – wegen der tollen Ausblicke. Auch unsere sonst eher ängstlichen Gastgeber („Do not go there. It is not safe!“) lächelten bei unserer Idee, diesen Pass befahren zu wollen:. „Wonderful“!
Zunächst scheint sich das auch zu bewahrheiten. Doch dann kommen die 22 Kilometer ungeteerter Straße. Nach wenigen Kilometern stellt sie sich als ausgewaschener, mit Schlaglöchern und spitzen Steinen übersäter, eineinhalbspuriger Pfad heraus, der sich steil nach oben windet.
Die wirklich überragenden Aussichten können wir nicht genießen, zu sehr sind wir damit beschäftigt, die Hindernisse zu umschiffen. Nicht erwähnen muss ich wohl das Fehlen jeglicher Absicherungen und die ungeduldigen Südafrikaner, die gar nicht verstehen, warum wir so langsam fahren. Dass ihnen ungeübte Adventuretouristen auf wahrscheinlich nicht gewarteten Mountainbikes entgegenrauschen, scheint sie ebenfalls nicht aus ihrem Gleichmut zu bringen.
Und wie kann es anders sein? Wer hat am Schluss den platten Reifen? Wir, wir die übervorsichtigen Deutschen … Immerhin ist es unser fünfter platte Reifen, sodass wir die netten Hilfsangebote großzügig ausschlagen können und fluchend den Reservereifen alleine aufziehen.
Im kolonialen Charme des altehrwürdigen Swartberghotels in Prins Albert erholen wir uns am Pool von dem Schrecken und lassen den empfohlenen „Walk“ zum Wasserfall sausen. Adrenalin und tolle Ausblicke hatten wir für heute genug. Auf einer angenehmen Teerstraße geht’s zurück in unser Airbnb.
Ein Klippspringer! Blick zurück Unten wieder angekommen
12.10.2019 Heute gehts erst zur Jeffrey‘s Bay. Wir wollen morgen um 12:00 in Port Elizabeth ein. Von dort geht es dann ins Landesinnere. Landschaftlich sehr schön, fahren wir über kleine Pässe Richtung Meer und Garden Route. Leider müssen wir aufgrund des platten Reifens noch einen Zwischenstopp in George einlegen. Europe Car gibt uns gleich einen neuen, frisch geputzten Wagen! Wie schön, denn wir haben unseren Wagen in kürzester Zeit staubig gefahren. Wegen des Zwischenstopps, gepaart mit einem anschließendem ausgedehnten zweiten Frühstück auf einen Landmarkt (Waffeln und Pancakes!), bleibt uns wenig Zeit für die Schönheiten der Garden Route. Trotzdem erhaschen wir immer wieder einen Blick auf den Indischen Ozean, der zwar genauso wild an die Küste braust, wie der Atlantik, aber viel wärmer ist. Wir erfreuen uns an den vielen Villen, die so in die grünen Küstenberge gebaut sind, dass sie möglichst lange die Sonne über dem Meer genießen können. Uns gefällt Wilderness mit seinem riesigen See, das fast mondäne Knysna und The Crags am besten. Den Welt höchsten Bungeesprungplatz passieren wir – mir wird schon vom Zusehen schwindelig – und landen endlich im Ubuntu Backpackers – ein paradiesischer Ort, speziell für junge Menschen im Gapyear.
Im Garten, wie auf den Terrassen und den vielen Gruppenräumen sind Kuschelecken zum Ratschen, zum Internet surfen, oder nur zum blöd aufs Wasser gucken eingerichtet. Dafür sind die Schlafräume knackig: 10 auf einen Streich. Wie schön, dass wir ein, wenn auch kleines, aber doch privates Doppelzimmer gebucht haben. Es bleibt uns noch ein Strandspaziergang, ein bisschen Arbeit am Blog und schon treffen wir alle jungen Leute beim Grill auf dem obersten Balkon.
Am 13.10.2019 bleiben wir im Ubuntu. Das Backpacker Hostel ist ein kleines Juwel mit vielen jungen Menschen aus der ganzen Welt, die sich am liebsten in die langen Wellen hier am endlosen, weißen Strand stürzen. Wir bevorzugen es zu joggen und uns in den verschiedenen Chillräumen im Backpacker zu entspannen und unsere Reiseeindrücke aufzuschreiben. Es regnet ein bisschen und alle sind froh, denn die Trockenheit ist ein großes Problem für Südafrikas Landwirtschaft.
14.10. ‑18.10.2019 Fahrt nach Port Elizabeth. Von dort mit Markus, einem beherzt fahrenden Taxifahrer, der ein Rosenkranz am Rückspiegel befestigt hat, in die Berge nach Karredouw, wo wir am 18.10. – hoffentlich – wieder gesund ankommen werden. Wir lassen unsere Kochsachen in den liebevoll zu Ferienwohnungen umgebauten Stallungen und nehmen drei, der vier künftigen Leidgenossen ins Taxi auf. Weiter gehts nach Willowmore, ins 100jährige, familiengeführte Willow-Guesthouse. Überall sind Wegweiser zur Baavianskloof, doch wir erholen uns am Pool von den Strapazen der Reise. Abends genießen unsere Henkersmahlzeit beim typischen Farmhouse-Abendessen. Man sitzt dann wie im Wohnzimmer an einem riesigen Tisch zusammen; liebevoll gesammelte Antiquitäten sowie Kinderfotos und – oft – fromme Gedenktafeln vervollständigen das Ambiente.
Nguniland, Karredouw Willow-Guesthouse
Die Unterhaltung fällt bald ins Africans und Thomas und ich sind „draußen“ und drinnen, denn nur, wenn sie sich direkt an uns wenden, sprechen sie Englisch. Ansonsten führt Gerda das Unterhaltungsszepter und alle haben Tränen vor Lachen in den Augen. Sie, das sind der Psychologe Bernhard und Luise, seine Frau, eine Pharmazeutin, Gerda, eine Lehrerin und witzige Alleinunterhalterin, die auf einer Farm aufgewachsen ist, Lorraine, eine Operationsschwester, die nach einer Scheidung nach Saudi-Arabien ausgewandert ist und jetzt in den Staaten lebt, Herkules, unser Guide auf dem Pferd, Eric, der coole Organisator, der im Hintergrund alle Stricke zieht, sowie Frikki, sein Freund aus Kindertagen, der die Inkarnation von Hans im Glück sein könnte und bereits fast auf der ganzen Welt gelebt hat. Er kümmert sich um unser leibliches Wohl und hat sich zum Ziel gesetzt, dass wir alle mindestens zwei Kilo schwerer wieder nach hause gehen.
Trotzdem sorge ich mich die ersten zwei Tage sehr, ob wir die 90 Kilometer bergauf, bergab in der oft brütenden Hitze überstehen werden. Und tatsächlich, die Südafrikaner laufen wie eine eins, nur Thomas und ich verraten unsere fehlende Kondition mit hochroten Gesichtern. So weiß Hector, wann wir müde sind und verschreibt allen eine kurze Zwangspause. Alle fünf Kilometer, also nach circa einer Stunde, bekommen wir zudem eine längere (10 min) Pause. Alle greifen dann in ihre Snacktüte, die gefüllt ist mit allen, was fit macht. Mittags und immer wieder überraschend, tauchen Eric und Frikki mit ihrer mobilen Küche auf und flößen uns eiskalte Getränke und stärkende Mahlzeiten ein. Freundliche Scherze und gutes Zureden helfen uns „armen“ Deutschen, die keiner Unterhaltung folgen können, ebenfalls, den Track zu überstehen.
Gott sei Dank hatte mich Thomas dazu überredet, mir ein Pferd zur Unterstützung zu leisten. Nach einem ganzen Tag auf meinem großartigen und lammfrommen Victor, beschloss ich doch, auch das Wandern zu wagen. Thomas durfte nun auf Victor reiten. Er stellte sich dabei so gut an, dass Hercules vorsichtig vorschlug, der “Bessere” solle doch den letzten, steilen Singletrail reiten. Klar war, dass er Thomas damit meinte.
Es kam anders – doch davon später. Jetzt noch kurz das Abendprogramm: Reichhaltiges Abendessen, immer frisch auf einer der Gastfarmen zubereitet, oder von Frikki vor unseren Augen gebraait (gegrillt), Sonnenuntergang, die Pferde mahlen irgendwo in der Nähe herum und wir strecken unsere müden Glieder im Bett aus, oder lungern herum, beobachten Frikki beim Kochen und reden – wohl über Gott und die Welt und die neuesten, verrückten Aktionen der Germans. Immer bekommen wir das beste Zimmer und das südafrikanischte Essen. Gastfreundschaft wird hier groß geschrieben.
Doch was war nun mit dem Singletrail, den Thomas reiten sollte? Nach einem steileren Stück bergab dachten wir, das war es schon gewesen und Thomas stieg ab vom Pferd – und ich auf. Hercules wirkte etwas irritiert, nickte aber nur. Und ich verstand seinen Gesichtsausdruck, als es fünf Minuten später plötzlich wirklich steil und eng bergab ging.
Erstmals konnte ich nicht darauf vertrauen, das Victor schon den richtigen Weg finden würde. Ich musste Victor allein führen, denn Hercules war schon tief unter mir! Doch er sah hoch und gab mir nur den einen Hinweis: „Smile“. Plötzlich ging alles gut – und ich bermerkte, wie viel ich ganz nebenbei auf Victor gelernt habe.
Kurze Zeit später ist der letzte und längste (30 Kilometer) Tag auch schon vorbei. Eine Wegbiegung und wir werden von Esti, Erics Frau und Frikki unter lautem Johlen begrüßt. Ein formidables Essen wird aufgetischt und der Alkohol fließt reichlich. Endlich zeigt auch Eric, unser Coolster, Nerven. „I am so glad that nothing went wrong. I am so glad …“ Dann verschwinden alle schnell in ihren Zimmern. Morgen um 8:00 ist die Abfahrt zum Frühstück im Sweaty Dutchman angesagt.
19.10.2019 Heute hatten wir noch ein großzügiges Farmerfrühstück mit allen, inklusive Taxifahrer. Seitdem sind Thomas und ich wieder auf uns selbst gestellt. Wir gehen shoppen in Karredouw und decken uns mit „Zubehör“ für die nächste Wanderung – diesmal entlang der Küste – ein: Sonnencreme, Vaseline für die malträtierten Füße, Pflaster, ein weiße, luftiges Top. Dann gehen wir zurück zum Farmhaus, indem wir uns für zwei weitere Tage zur Erholung eingemietet haben. Nach einer ganzen Waschorgie – alles war staubig und durchgeschwitzt – wandern wir den Baviaans Camino ein paar Kilometer rückwärts und genießen es, diesmal an jeder Kurve stehenbleiben zu dürfen, den Fröschen und Wasserläufern zuzusehen, die Schafe zu jagen und die Rinder in den Berghängen zu bewundern. Wir bleiben an Proteas, an Eichen und üppigen Farngräsern stehen und blicken auf die Berge zurück, die wir in den vergangenen Tagen über- und durchquert haben.
20. 10. 2019 Wir genießen die Ruhe in unserem eigenen kleinen Farmhaus, schauen den Pavianen beim Spielen zu, behandeln unsere Blasen und sehen auf den Baviaanskloof zurück. Hin und wieder kommt uns der Farmersjunge von nebenan besuchen – und sonst schreiben und lesen wir nur.
21.10.2019 Umzug auf Hercules Horse Farm. Hier sind wir in familiärer Gesellschaft untergebracht und werden von Annieka, seiner Frau herrlich bekocht.